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Juli 2010

Aufsatz Sigmund Riezlers aus dem Historischen Seminar, um 1866

(Archiv der Ludwig-Maximilians-Universität, Allgemeine Sammlungen 18)

König Maximilian II. (1848–1864), ein besonderer Freund der Geschichte, gründete und beförderte im Lauf seiner Regierungszeit drei Einrichtungen, die noch heute wesentlich für diese Wissenschaft in München sind: 1857 das Historische Seminar an der Ludwig-Maximilians-Universität, 1858 die Historische Kommission an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und 1859 die Historische Zeitschrift. Sein Mann war, so schien es zumindest für den Moment, der zur Gothaischen Partei zählende, also kleindeutsch ausgerichtete Heinrich von Sybel. Dieser stand sämtlichen genannten Einrichtungen zunächst vor. Die Entlassung Sybels aus dem bayerischen Staatsdienst 1861 war ein Politikum. Der Monarch zweifelte an der politischen Zuverlässigkeit des ersten Historikers im Lande. Dessen Beispiel mußte ihn die Unvereinbarkeit seiner Berufungs- und Kulturpolitik mit den Interessen Bayerns als Staat (Triasidee!) schmerzlich empfinden lassen. Als Nachfolger auf dem Lehrstuhl und als alleiniger Direktor des Historischen Seminars wurde Wilhelm von Giesebrecht berufen, dem es in den Jahren zwischen 1862 und 1884 gelang, eine den Maßstäben der historisch-kritischen Methode verpflichtete Schule junger Nachwuchskräfte zu gründen. Auch wenn sich Giesebrecht in München als Preuße und Protestant vorstellte, so war mit ihm doch viel besser zu leben als mit dem nicht selten kämpferisch auftretenden Sybel. Spannungen ließen sich gleichwohl nicht vermeiden, da Wilhelm von Giesebrecht – als Inhaber der weltanschaulich neutralen Geschichtsprofessur – wie angedeutet die ausschließliche Leitung des Historischen Seminars oblag, sein Kollege, der seinerzeit neben Sybel berufene Karl Adolph von Cornelius, hingegen – als Inhaber der weltanschaulich gebundenen („katholischen“) Geschichtsprofessur – von den Seminargeschäften ausgeschlossen blieb. Um den Mißstand einer nicht proportional vertretenen katholischen Geschichtswissenschaft auszugleichen, etablierte der Kirchenhistoriker Ignaz von Döllinger 1863 in bewußter Parallelität und gewollter Komplementarität zum Historischen Seminar an der Philosophischen Fakultät unter dem Namen „Konservatorium“ ein Kirchenhistorisches Seminar an der Theologischen Fakultät.

Siegmund v. Riezler
Sigmund von Riezler

Zu den vielversprechendsten Zöglingen von Giesebrechts Seminar zählten Sigmund Riezler und Karl Theodor Heigel, die an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert die Hauptvertreter der bayerischen und deutschen Geschichte in München werden sollten. Beide lösten 1867 die von Giesebrecht gestellte Preisfrage über „Das Herzogtum Baiern zur Zeit Heinrichs des Löwen“; mit der Lösung dieser Frage war die kostenlose Promotion zum Dr. phil. verbunden. Unter den Historikern an der Ludwig-Maximilians-Universität verharrte der eine oder andere bis zum Ende seiner Lehrtätigkeit in offenem Widerspruch zu Giesebrecht und seinem „Geschichts-Monopol“, namentlich der Patriot Johann Nepomuk Sepp, der seine Nicht-Beteiligung am Examen rigorosum von Heigel und Riezler wie folgte begründete: „Da die paar eingeborenen Professoren im Fache der Geschichte, und speciell über ein Preisthema aus der vaterländischen Geschichte, entweder weniger verstehen oder doch die Herrn Candidaten die Frequenz eines ihrer Collegien während fünf Jahren für ihr Fortkommen als keine Empfehlung erachten, so versteht es sich wohl von selbst, daß dieselben auch zum Examen der Herrn Doktoranden sich nicht vordrängen werden.“ Als Seminarteilnehmer an der „Kritischen Abtheilung“ – gedacht für die künftigen Geschichtsforscher in Unterscheidung zur „Pädagogischen Abtheilung“ für die künftigen Gymnasiallehrer – übernahm Sigmund Riezler um 1866 einen Aufsatz zum Thema „Die Markgrafen auf dem Nordgau von 1057–1209“, der sich im Umfang von 21 Seiten zufälligerweise erhalten hat. Wilhelm von Giesebrecht unterzog diesen Aufsatz einer eingehenden kritischen Rezension, wie die zahlreichen Randbemerkungen in Blei von seiner Hand beweisen. Riezler habilitierte sich bereits 1869, trat dann Stellen als Archivar in Donaueschingen und Bibliothekar in München an, bis er 1898 als Ordinarius für bayerische Landesgeschichte an die Universität München berufen wurde, welche Katheder er bis zu seiner Entpflichtung 1917 versah. Über Riezlers Münchener Studienzeit existiert schließlich ein autobiographischer Bericht: „Für das Studium der Geschichte wurde ich begeistert durch die Lektüre historischer Werke, die ich in der Bibliothek meines Vaters fand – besonders Westenrieders und Raumers Hohenstaufen – und durch Sybels Vorträge im Liebigschen Hörsaal. Nach Absolvierung des Ludwigsgymnasiums studierte ich an der Universität München Geschichte und Jurisprudenz und promovierte als Historiker 1867. Als die Lehrer, denen ich am meisten verdanke, darf ich nennen die Historiker Giesebrecht, Döllinger, H. Riehl, den Philosophen Prantl, die Juristen Paul Roth und Felix Dahn, den Nationalökonomen Herrmann, den Germanisten Wilh. Hertz.“

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CS

Literaturauswahl

CLAUDIUS STEIN, Der „Fall“ des Historikers Johann Nepomuk Sepp (1867). Prinzipienkampf zwischen Liberalismus und Ultramontanismus an der Universität München?, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 71 (2008) 175–229

CLAUDIUS STEIN, Ignaz von Döllinger und Georg Ratzinger. Rückblick auf ein spannungsreiches Verhältnis, in: Johann Kirchinger – Ernst Schütz (Hg.), Georg Ratzinger (1844–1899). Ein Leben zwischen Politik, Geschichte und Seelsorge, Regensburg 2008, 37–66

CLAUDIUS STEIN, Ignaz von Döllinger als Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und der Historischen Kommission, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 72 (2009) 571–622

W[ILHELM]. ZILS (Hg.), Geistiges und Künstlerisches München in Selbstbiographien, München 1913, 300 f. [Sigmund Riezler]


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