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Dezember 2014

UAM, M-II-38p, Promotionsakte Paula Odenheimer, 1914

Im Dezember, dem Monat der Erwartung und Besinnung, zeigen wir seitens des Universitätsarchivs nach all den opulenten Stücken der vergangenen Monate doch wieder etwas mehr Bescheidenheit und verweisen auf einen Bestand von Tausenden, meist dünner und eher unattraktiv wirkenden Aktenfaszikel. Diese dokumentieren die akademischen Titel, welche die LMU ihren Studierenden über Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg verliehen hat. Im Zentrum stehen hier vor allem die sog. Promotionsakten des UAM, welche die Verleihung des Doktortitels der jeweiligen Fakultäten an ihre Promovenden belegen.

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Man muß nicht zwangsläufig auf die Promotionsunterlagen von Max Planck oder Joseph Ratzinger (Papst Benedikt XVI.) hinweisen, um die Bedeutung dieser Bestände bewußt zu machen. Auch fast jeder wahllose „Griff in den Kasten“ fördert ständig Interessantes zutage. Wagen wir also ein Beispiel und „greifen“ einfach einmal in die Archivschachtel mit den Promotionen der Staatswirtschaftlichen Fakultät von vor einhundert Jahren, also dem Jahr 1914:

Da befindet sich u.a. der Akt von Paula Odenheimer, welche eine Dissertation über „Die Berufe der Juden in Bayern nach den Berufszählungen von 1882, 1895 und 1907“ vorgelegt hatte und damit zum Rigorosum am 14.Juli 1914 in den Fächern Statistik, Sozialpolitik, Finanzwissenschaft und Nationalökonomie zugelassen worden war. Die Professoren von Mayr, Lotz und Brentano waren nicht so ganz überzeugt von den wissenschaftlichen Leistungen sowohl der Dissertation wie der mündlichen Prüfungen, aber Paula (Pauline) Odenheimer (später: Weiner-Odenheimer) zählt zu den wenigen Frauen, welche in dieser Zeit an der LMU promoviert wurden. Und sie gehört zu den wenigen weiblichen Doctores der LMU, denen in der NS-Zeit der Doktortitel wieder aberkannt worden war.

Zwar hatte 1900 die erste Frau an der LMU ihr Doktorexamen abgelegt, jedoch erfolgten in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts die Promotionen von Frauen weiterhin nur spärlich; neben der Medizin war eben auch die Nationalökonomie gerade ein Feld, welches für Frauen einen akademischen Grad sinnvoll machen konnte. Nach 1933 emigrierte die Jüdin Paula Weiner-Odenheimer; 1940 wurde sie von den Nationalsozialisten ausgebürgert und ihr in Folge dessen der Doktortitel der LMU aberkannt. Als sie 1950 wieder nach Deutschland zurückgekehrt war und sich in Regensburg niederließ, beantragte sie bei der Universität eine Bestätigung ihres Doktortitels, da sie diesen wieder offiziell führen wollte. Die Fakultät stellte aus diesem Anlaß erst den Entzug des Titels fest, woraufhin der Rektor die damalige „nazistische Maßnahme“ als unrechtmäßig und somit nicht erfolgt einstufte. Frau Weinert-Odenheimer selbst hatte (wie viele andere Betroffene auch) im Exil wohl gar nicht die Aberkennung des Titels mitbekommen (sie dürfte dort wohl kaum das Reichsgesetzblatt gelesen haben), und wurde so ungewollt zu einer der wenigen Personen der LMU, welche in der unmittelbaren Nachkriegszeit individuell von ihrem Doktorentzug rehabilitiert worden sind.

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Zurück zu den Promovenden der Staatswirtschaftlichen Fakultät im Jahre 1914: Schauen wir uns weitere Namen an, so fällt uns ein Kandidat auf, welcher nur wenige Tage nach Paula Odenheimer sein Rigorosum absolviert hatte: Emil Julius Gumbel. Dieser habilitierte sich später in Heidelberg und erhielt dort eine außerordentliche Professur. Gumbel wurde in dieser Zeit vor allem als kompromißloser Pazifist bekannt, der sich nicht scheute, als scharfzüngiger Publizist und Redner auch im Universitätsbetrieb seine Sache zu vertreten, was ihm letztendlich 1932 die Entlassung aus dem Heidelberger Universitätsdienst eintrug. Seither in Frankreich lebend (1940 emigrierte er in die USA), zählt Gumbel 1933 mit zu den ersten Personen auf den Ausbürgerungslisten der Nationalsozialisten. Da dort sein Doktortitel jedoch nicht genannt worden war, hatte man ihm diesen auch niemals aberkannt – er war einfach durch die Maschen der nationalsozialistischen Bürokratie geschlüpft.

Nachdem allerorts in diesem Jahr dem Beginn des Großen Schlachtens vor hundert Jahren gedacht wird, scheint es umso wichtiger, auch an solche Menschen wie Emil Julius Gumbel zu erinnern. Vor allem dann, wenn Weihnachten wieder einmal vor der Türe steht und aus diesem Anlaß sich die Menschen auf diesem Planeten gegenseitig Frieden zu wünschen pflegen. Anlässe für solch einen Wunsch gibt es auch hundert Jahre nach 1914 immer noch reichlich.

Ihnen, lieber Leser, sei eben solch Friede zum kommenden Fest von Herzen gewünscht.

WS

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UAM, M-II-38p; G-VIII-1, Bd.3c; Sen-II-288.

Hadumod Bußmann/ Hiltrud Häntzschel: Bedrohlich gescheit. Ein Jahrhundert Frauen und Wissenschaft in Bayern. München 1996.

Emil Julius Gumbel: Über die Interpolation des Bevölkerungstandes. Leipzig 1916

Stefanie Harrecker: Degradierte Doktoren. Die Aberkennung der Doktorwürde an der Ludwig-Maximilians-Universität München während der Zeit des Nationalsozialismus.

Christian Jansen: Emil Julius Gumbel. Heidelberg 1991.

Paula Weiner-Odenheimer: Die Berufe der Juden in Bayern. Berlin 1918.

http://de.wikipedia.org/wiki/Emil_Julius_Gumbel


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