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Mai 2014

Ignaz v. Döllinger, Festrede zur 400jährigen Stiftungsfeier, München: Schurich 1872

(UAM, Slg-XVII)

Zwischen dem 31. Juni und dem 3. August 1872 beging die Universität München ihre 400-Jahr-Feier. Regie führte dabei der Jubiläumsrektor Ignaz von Döllinger, der als liberaler Theologe und Kirchenhistoriker Bekanntheit erlangt hatte als Gegner des päpstlichen Unfehlbarkeitsdogmas von 1870 und des neuen Primatsverständnisses.

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Ignaz von Döllingers Festansprache, die er am 1. August 1872 in der Großen Aula vortrug, stieß bereits auf Widerspruch, bevor sie überhaupt gehalten oder ihr Inhalt bekannt gewesen wäre. Johann Nepomuk Ringseis, der von der Romantik geprägte Freund und Berater Ludwigs I., nahm, zumal nach dem Aufgehen des Königreiches im Deutschen Reich, die Rolle eines Anwalts bayerischer Staatlichkeit und Tradition wahr. Zwei ältere Universitätsreden Döllingers veranlassten ihn zur Niederschrift seiner „Ehrenrettung der Hochschule zu Ingolstadt gegenüber dem Herrn Universitätsrektor von Döllinger“. Ringseis vertrat darin den Standpunkt: Wer Ingolstadt schmäht, schmäht Bayern, schmäht Deutschland. Döllinger habe nämlich von der Ingolstädter Alma mater gesagt, dass das Programm ihres Lehrkörpers gewesen sei: „qui bene latuit, bene vixit.“ Ringseis trat somit als Vorläufer Romstöcks und dessen „Jesuitennullen Prantls“ auf, denn er wies Döllinger eine ähnliche Geschichtskonzeption nach, wie man sie auch bei Prantl findet. Blinder Hass auf die „frommen und heldenmüthigen“ Jesuiten verleite beide dazu, die Hohe Schule zu Ingolstadt für den „jesuitischen“ Zeitraum von 1550 bis 1773 abzuqualifizieren und die süddeutsch-katholische, mitunter zwangsläufig jesuitisch dominierte Geistigkeit zu diskreditieren. Vor dieser dunklen Folie solle sich der helle Glanz der anderen Perioden umso deutlicher abheben. Zur Verdeutlichung des Gemeinten hob Ringseis im Anschluss daran zu einer umfangreichen, fast ausschließlich aus Biogrammen Ingolstädter Professoren bestehenden Gegenrede an. Bei allen berechtigten Einwänden wirkt es auffallend, dass er 60 Seiten benötigte, um eine Invektive von nur drei Seiten zu widerlegen. So geriet sein Aufsatz zu einer rein positivistischen Materialansammlung. Für eine Darstellung der die einzelnen Geschichtsepochen prägenden Elemente fehlte ihm, der seiner Profession nach Mediziner war, das rechte Verständnis und entsprechende Wissen.

Döllingers Festansprache in der Großen Aula berücksichtigte keinen der von Ringseis vorgebrachten Einsprüche. Der Rektor sah das Jubiläum als „Fest der ganzen deutschen Nation“. Deutschlands neuerrungene internationale Stellung und den Umstand, dass die Ludovico-Maximilianea die erste Universität im Reich war, die ein Zentenarium begehen konnte, nahm er zum Anlass eines vergleichenden Rückblickes auf die Geschichte der alteuropäischen Hochschullandschaft, um „im Spiegel der Geschichte“ Ziele und Aufgaben der deutschen Universität in Gegenwart und Zukunft aufzuzeigen. Dabei trug ihn dasselbe deutsch-nationale Pathos, das man seit der Rektoratsrede von 1871 kannte; die Anleihen daraus sind unschwer auszumachen. Die langersehnte Reichseinheit finde einen Niederschlag auch im Hochschulkörper des Reiches; ihn charakterisiere ein reger wechselseitiger Austausch von Lehrenden und Lernenden zwischen allen Gauen und Himmelsrichtungen. Diese Freizügigkeit ermögliche der Umstand, dass jeder civis academicus von nun an auch immer das Reichsbürgerrecht besitze.

In den Deutschen sah Döllinger ein „ganz eigenartiges, keinem andern zu vergleichendes Volk“, „an Zahl jedes andere Cultursvolk übertreffend, an Geistesanlagen so reich als irgend eines“. Der langwährenden geistigen Vormundschaft Italiens im 15. und 16., Frankreichs im 17. und Englands im 18. Jahrhundert, dem selbstgenügsamen Verzicht auf Entwicklung „autochthoner Geistesfrüchte“, verdanke dieses Volk die Bestimmung und Befähigung, alle „Bildungsstoffe und Culturzustände“ in sich aufzunehmen und zu verarbeiten. Nun aber sei Deutschland berufen, in der gelehrten Welt mehr Lehrer als Schüler zu sein, „weil uns im Ganzen und Großen die reichste Fülle des Wissens, die umfassendste auf unserem Boden erwachsene Literatur zu Gebote steht“ und weil „wir geben mehr als wir empfangen“.

Döllinger sprach volle eineinhalb Stunden mit lauter Stimme und warmem Ausdruck. Das zahlreiche Publikum nahm die Festrede im Allgemeinen sehr gut, also mit stürmischem Beifall, auf. Die „infallibilistische Welt“ stand „grollend beiseite“. Gleichwohl bezeichneten geschworene Döllinger-Gegner wie Johann Nepomuk Sepp dessen Repräsentation während der Festivitäten als den „Glanzpunkt“ in seinem Leben.

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Im Rahmen des vom Universitätsarchiv München getragenen Projektes zur digitalen Bereitstellung und inhaltlichen Erschließung der Rektorats- und Universitätsreden der Ludovico-Maximilianea zwischen 1800/1826 und 1968 wird, wie oben gezeigt, der Fokus nicht nur auf die Reden selbst gelegt, sondern im Rahmen der Kontextualisierung auch auf ergänzende und erläuternde Quellen gedruckter oder handschriftlicher Art. Im vorliegenden Fall ist das Archiv in der glücklichen Lage, sogar eine frühe Bildquelle als Referenz heranziehen zu können.

CS

Claudius Stein, Ignaz von Döllinger und das Münchner Universitätsjubiläum von 1872, in: Konrad Ackermann – Hermann Rumschöttel (Hg.), Bayerische Geschichte – Landesgeschichte in Bayern. Festgabe für Alois Schmid zum 60. Geburtstag (Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 68/I–II), München 2005, 853–923


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