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März 2015

In der Geschichte der Universität München und des Herzoglichen Georgianums im 19. Jahrhundert spielt der katholische Gelehrte Martin Deutinger (1815–1864) eine besondere Rolle. Seine Bedeutung als Philosoph und Theologe sei an dieser Stelle bewusst ausgegrenzt, stattdessen auf einige biographische Details und insbesondere auf den inhaltlich und quantitativ herausragenden Nachlass verwiesen.

Deutinger studierte an der Theologischen Fakultät als Alumne des Georgianums, genoss also einen Freiplatz. 1846 kehrte er als Professor für Philosophie nach München zurück, um dort schließlich 1858 die Universitätsprädikatur an St. Ludwig zu übernehmen. Andreas Schmid, Subregens und Direktor des Georgianums (1865–1876, 1877–1909), erinnerte sich nach Deutingers Tod: „Er wohnte in der Veterinärstr. No. 11, d.h. vis-a-vis unserem untern Bassin u. war mit den Alumnen nicht immer zufrieden, weil sie die philosophischen Predigten nicht immer lobten.“

Gleichwohl setzte Deutinger testamentarisch das Georgianum zu seinem Haupterben ein: Das Priesterseminar sollte nicht nur die Bibliothek nebst Herbarium und die Graphiksammlung erben, sondern auch knapp 5.000 Gulden zur Errichtung eines von Direktor und Subregens zu verleihenden Stipendiums für einen Kandidaten der Theologie, vorzugsweise für einen Alumnen oder Konviktor des Georgianums. Stiftungszweck war „hervorragendere, wissenschaftliche Ausbildung einzelner Kleriker der römisch-katholischen Kirche“. Der Stipendiat musste sich verpflichten, an der Universität München den philosophischen oder theologischen Doktorgrad zu erwerben und im selbstverschuldeten Fall einer gescheiterten Promotion die Hälfte der bis dahin bezogenen Unterstützung zurückzuerstatten. Die Verleihung des Stipendiums erfolgte immer nur von einem Jahr auf das andere, was sich in Hinblick auf ein und denselben Stipendiaten bis zu drei Mal wiederholen durfte. Sich dem Stipendienkonkurs zu unterziehen, war nicht nötig. Bedauerlicherweise liegen über die weitere Entwicklung der Stiftung so gut wie keine Unterlagen vor. Infolge der Inflation ging 1923 das Stiftungsvermögen zugrunde.

Besser informiert sind wir über die Bibliothek nebst Herbarium und die Graphiksammlung, die noch heute im Herzoglichen Georgianum verwahrt werden. Die entsprechenden Studien stammen einerseits von Marc-Aeilko Aris, zum anderen von Claudius Stein; die Graphiksammlung war darüber hinaus Thema von Stück des Monats März 2011. Nachfolgend wird versucht, einen Einblick in die Arbeitsweise Deutingers und in die Struktur seiner Graphiksammlung zu geben, nämlich anhand zweier Werke Caravaggios im Kunsthistorischen Museum Wien durch Gegenüberstellung der Originalgemälde und der Reproduktionsgraphiken sowie der handschriftlichen und gedruckten Bemerkungen. Eine solche Gegenüberstellung wurde jüngst unternommen für den mit Martin Deutinger fast gleichaltrigen Jacob Burckhardt (1818–1897), der ebenfalls Graphiken, vermehrt aber auch Photos, sammelte und der gleichfalls – in beachtenswerter Freiheit und Treffsicherheit im Urteil – aus bildender Absicht die Gegenstände in ihrer Gesamtheit anvisierte, nicht die auf penibler Detailforschung beruhende und häufig in Einzelheiten auseinander fallende Darstellung, wie sie immer mehr verbindlich wurde für die Kollegen aus der „zünftischen“ Kunstgeschichte.

Deutinger hatte 1853 Wien und die damalige „Belvedere-Gallerie“ besucht und sich vor den Gemälden Notizen gemacht, die er in München zu essayistischen Studien ausarbeitete, welche allerdings ungedruckt blieben und erst 1866, also posthum von seinem Schüler Lorenz Kastner (1833–1919) veröffentlicht wurden. Treue Helfer scheinen die in den Notizbüchern enthaltenen, meist nur aphoristischen Bemerkungen abgeschrieben und den jeweiligen Graphiken zugeordnet zu haben – ein bisher so gut wie unbeachteter Schatz, der nach den Worten Deutingers „eine ziemlich vollständige Kunstgeschichte repräsentiert“.

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„Lieblich, viel von [Andrea] del Sarto, runder, schwarzlockiger Kopf voll Ernst u. Lieblichkeit, Auge so treu u. ruhig, Mund so frei, Nase, Stirn, Kinn so entsprechend, den Kopf kann man immer ansehen, er wird immer treuherziger, lieber, weicher, die dunklen Augen, die weichen Wangen u. diese ernsten Gedanken unter diesen Locken.“ (Nachlass) – Man beachte die womöglich auf einer Verwechslung beruhende Akzentverschiebung ins Negative in der gedruckten Version: „Mehr der Natur folgt Caravaggio, obwohl er in ihr doch nicht das Natürliche, sondern nur das Ungebildete, die Materie ohne ihre Energie, ohne den belebenden und formgewaltigen Geist erreicht. Zwar der David mit dem Haupte des Goliath ist mehr in der Weise der Caracci [Agostino, Annibale und Ludovico Caracci], eine etwas antikisirte Studie eines halbgewachsenen Lazzaroni [it. lazzarone; dt. Schurke, Lump, Nichtsnutz].“ (S. 82)

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„Dieselbe Corr[e]g[gio]-Farbe u. Gesichter wie in Bonn nur enface, voll tüchtige Lichtwirkung, einzelne Prachtgestalten, doch ohne rechte Harmonie.“ (Nachlass) – „Und auch das Rosenkranzfest hat noch einige Züge von Idealisirung der Formen. In dem Oval des Madonnenkopfes ist sogar eine Nachbildung der allgemeinen Formen der frühern römischen Maler, des Berettini [Pietro da Cortona] und [Guiseppe] Cesari [Cavalier d’Arpino] zu erkennen. Was aber diesem Bilde eine wirkliche malerische Bedeutung gibt, das ist die prachtvolle kräftige Lichtwirkung, durch welche die Gestalten eine eigenthümliche Lebendigkeit erhalten, die freilich mehr zauberhaft als wirklich, mehr aus einer künstlichen Blendlaterne als aus dem verklärenden Sonnenlicht oder dem träumerischen Schimmer des Mondes hervorbricht. Aber es ist doch etwas an dem Bilde, was man noch bewundern kann, so daß man nicht so ganz leer ausgeht, wie bei dem kahlen Brachlande [Carlo] Maratti’s.“ (S. 82 f.)

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An zwei Stellen wird noch heute frei sichtbar vom Herzoglichen Georgianum Dank abgestattet für die Wohltaten, die Martin Deutinger dem Priesterseminar erwies. In der Aula des Georgianums hängt ein ihn darstellendes Gemälde. Direktor Schmid berichtet dazu: „Nun hatte dessen [Deutingers] Haushälterin [und Gefährtin Kathinka] v. Münich eine Photographie in 8º, nach welcher Hr. Director Dr. Thalhofer 1865 von Maler Widmann unser Porträt in Öl anfertigen ließ.“

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Im Campo santo des Alten Südlichen Friedhofes in München steht zweitens der Grabstein mit dem merkwürdig zusammenhanglosen Bibelwort: „Plötzlich war das Schiff an dem Lande, nach dem sie fuhren.“ und der Stiftungsinschrift: „Gewidmet in Dankbarkeit u. Liebe vom Georgianischen Clerikalseminar und den Verehrern des Dahingeschiedenen“.

Schließlich sei bereits jetzt darauf hingewiesen, dass der Verein der Freunde und Förderer des Herzoglichen Georgianums 2016 einen Gedenkvortrag zu Ehren Martin Deutingers halten lassen wird und dass die Deutinger’sche Graphiksammlung auch auf der Tagung über die Wissenschaftlichen Sammlungen der Universität Ingolstadt-Landshut-München 2016 vorgestellt werden wird.

CS

Literatur Deutinger

Deutinger-Jubiläum 1989. Martin von Deutinger, dem Historiker zum 200. Geburtstag. Martin Deutinger, dem Philosophen zum 125 Todestag (Erdinger Land 11), Wartenberg 1989 (Ausstellungskatalog)

Literatur Burckhardt

Christine Tauber (Hg.), Jacob Burckhardt. Die Kunst der Malerei in Italien, München/Basel 2003

Literatur Bibliothek

Marc-Aeilko Aris, Die Bibliothek. Wohltätige Stiftungen aus der Geschichte des Herzoglichen Georgianums und seiner Bibliothek, in: Reiner Kaczynski (Hg.), Kirche, Kunstsammlung und Bibliothek des Herzoglichen Georgianums, Regensburg 1994, 129–174

Literatur Freiplatz

Claudius Stein, Die Wittelsbacher-Stiftung Georgianum in München. Bildungs- und wissenschaftsgeschichtliche Entwicklungslinien im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Alois Schmid – Hermann Rumschöttel (Hg.), Wittelsbacher-Studien. Festgabe für Herzog Franz von Bayern zum 80. Geburtstag (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 166), München 2013, 731–763

Literatur Graphiksammlung

Lorenz Kastner (Hg.), Martin Deutinger. Bilder des Geistes in den Werken der Kunst. Gezeichnet in der Belvedere-Gallerie zu Wien, München 1866

Claudius Stein, Bildungs- und wissenschaftsgeschichtliche Entwicklungslinien des Herzoglichen Georgianums im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Manfred Weitlauff und Claudius Stein (Hg.), Zur Geschichte der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München und des Herzoglichen Georgianums im 19. und 20. Jahrhundert (Münchener Theologische Zeitschrift 2014/4), St. Ottilien 2014, 294–313


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