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August 2017

Handakt der Hausverwaltung „Wiederherstellung der Insignien“, Schreiben des Rektors San Nicolo an den Goldschmiedemeister Luitpold Pirzl vom 19.6.1953

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Was hat eine gefälschte gotische Adlerfibel aus der NS-Zeit mit den heutigen Insignien, genauer den Szeptern der LMU, gemeinsam? Nun: sie alle sind aufs engste verbunden mit dem Namen Luitpold Pirzl. Und sie erzählen eine bemerkenswerte Geschichte, die wir Ihnen heute als kurze Urlaubslektüre anbieten wollen:

Das oben abgebildete Stück des Monats befindet sich als Abdruck im Auslauf der LMU, genauer in den Handakten der Hausverwaltung; diese sind vor nicht allzu langer Zeit an das Universitätsarchiv abgegeben worden. Die Empfänger-Ausfertigung dieses Briefes – um Vieles attraktiver als der uns überlieferte Entwurf – können wir ihnen zeigen, da das Universitätsarchiv zufällig schon vor vielen Jahren eine Abbildung davon erhalten hat. Dafür bedanken wir uns herzlich bei Frau Dr. Suzanne Bäumler. Die Vorgeschichte dieses Briefes können wir nun sehr genau aus den Akten rekonstruieren.

In diesem Schreiben vom 19. Juni 1953 bedankt sich der amtierende Rektor, Professor San Nicolo, aufs herzlichste bei dem Münchner Goldschmiedemeister Luitpold Pirzl: Dieser hatte mit großem Können und Sachverstand und nach ausführlichsten Recherchen die beiden Szepter der Universität rekonstruiert, sie sozusagen der Universität wiedergegeben.

Dazu muß man wissen, daß die beiden aus dem 17. Jahrhundert stammenden Insignien-Stäbe noch 1945 – zusammen mit weiteren Teilen des Universitätsschatzes und umfangreichen Akten und Amtsbüchern des Universitätsarchivs – in das Schloß Wässerndorf ausgelagert worden waren. Just dieses wertvolle Bergungsdepot verwandelten am 5. April 1945 die vorrückenden amerikanischen Truppen in ein Flammenmeer. Nur noch in Teilen und mit großem Substanzverlust konnten die Überreste der Szepter später geborgen und nach Kriegsende in ein anderes Außendepot verbracht werden. Immer wieder einmal erinnerte man sich dieser Überreste. 1949 dann drängte der Historiker Max Spindler den Physiker und amtierenden Rektor Walter Gerlach endlich mit Erfolg zum Handeln. Gerlach ließ die Kiste mit den Resten der Insignien (darunter auch der schwer beschädigte goldene Schiffspokal aus der Jahre 1594) wieder an die Universität nach München zurückholen und brachte sie so immerhin mental wie materiell erst einmal wieder in den Schoß der Alma Mater zurück.

Angesichts der weitaus drängenderen Aufgaben der Universität in den unmittelbaren Nachkriegsjahren sollte es doch noch das Jahr 1952 werden, bis der Senat der Universität definitiv die Wiederherstellung der Insignien der Universität anging. Für diese schwierige Aufgabe, anhand ausführlicher Recherchen zu den Originalen sowie unter Verwendung der einst aus dem Brandschutz geborgenen Reste die Szepter möglichst originalgetreu wieder auferstehen zu lassen, empfahl auf Nachfrage das bayerische Landesamt für Denkmalpflege den Münchner Goldschmiedemeister Luitpold Pirzl. Und in der Tat vermochte es dieser in den folgenden Monaten mit seiner ausgezeichneten Handwerkskunst, der Universität ihre beiden alten Szepterstäbe wieder zu geben; die Restaurierung – d.h. eigentlich Rekonstruktion – auch des zweiten Szepters gelang dann wunschgemäß gerade noch bis zum Stiftungsfest des Jahres 1953: erstmals nach dem Krieg waren bei diesem hohen Universitätsfest die beiden „Amtsstäbe“ und Insignien wieder vereint gegenwärtig.

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Nun zum anderen Teil unserer Geschichte: 1937 hatte ein gerissener Münchner Kunsthändler und Kunstfälscher, Herbert von Marwitz, die vom Germanentum besessene Schar der NS-Bonzen genarrt, indem er eine angeblich gotische Adlerfibel als sensationelle Neuentdeckung bei diesen in Umlauf brachte. Höchste Würdenträger, allen voran Alfred Rosenberg, priesen damals das Stück als eines der „kostbarsten und herrlichsten Werke altgermanischer Goldschmiedekunst“, und auch ausgewiesene „Spezialisten“ und Kunstwarte fielen zunächst darauf herein. Bis letztendlich das Kunstwerk dann doch als Fälschung enttarnt wurde. Marwitz wanderte für 5 Jahre ins Zuchthaus, 1952 nahm er sich selbst das Leben. Diese Geschichte fand später auch Eingang in das Buch des ehemaligen Tübinger Landeskonservators Adolf Rieth (Vorzeit gefälscht. Tübingen 1967), welches wiederum einem breiteren Publikum durch einen Artikel im „Spiegel“ vom 6.5.1968 (Fälschungen. NS-Kunsterbe im Sumpf) bekannt wurde.

Rieth benennt in seinem Buch einen Münchner Goldschmied namens Pirzl als Schöpfer der falschen Adlerfibel, und es handelt sich in der Tat um den uns bekannten Meister Luitpold Pirzl. Denn dieser hatte sich nach Kriegsende beim bayerischen Landesamt für Denkmalpflege um Aufträge bemüht und sich dort – ganz ungeniert – damit empfohlen, daß er der Schöpfer jener „gotischen“ Adlerfibel sei: Herbert von Marwitz hatte ihn 1937 mit deren Anfertigung beauftragt und ihn dazu auch zu intensiven Vorstudien an Originalen ins Germanische Nationalmuseum nach Nürnberg geschickt. Kurzum also: Der Retter unserer Universitäts-Szepter ist gleichzeitig der talentierte Fälscher eines skandalumwitterten altgermanischen Kunstobjekts. Und hat damit seinerzeit die Verantwortlichen im Landesamt für Denkmalpflege von seinem Können überzeugt – was wiederum im besten Sinne unseren Insignien zugutegekommen ist.

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Die nachgemachte Adlerfibel als Fälschung zu bezeichnen, erscheint vor dem Hintergrund ihres Täuschungszweckes unzweifelhaft gerechtfertigt. Wer nun auf den Gedanken kommt, unsere heutigen Universitätsszepter in gleicher Weise zu bewerten, den wollen wir hier darauf hinweisen, daß deren „Wiederherstellung“ in Gestalt der Originale bewußt und gewollt programmatischer Natur ist und auch keineswegs verschwiegen, vielmehr ausführlich diskutiert wurde. Natürlich nicht nur für die Wiederherstellung unserer Szepter, denn solch denkmalpflegerische Überlegungen nahmen gerade und naturgemäß breiten Raum ein in den Jahren des Wiederaufbaus. Speziell für die beiden Szepter der LMU hat das Ergebnis dieser Auseinandersetzung der nachmalige Direktor des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege, Torsten Gebhard, 1953 dahingehend formuliert, daß keine Neuanfertigung, vielmehr nur eine möglichst getreue Rekonstruktion deren Sinngehalt entsprechen würde, denn, so Gebhard, „das Szepter als Rechtsdenkmal sollte erneut akademischem Brauch dienen“.

Wissen Sie, geneigter Leser, eigentlich, wie viele all jener wunderbaren Gegenstände in Ausstellungen und Museen „nur“ gute Repliken sind, und wir uns deren Anmutung – zumindest aus einer gewissen Distanz – dennoch nicht entziehen können? – Also: Nun wünschen wir Ihnen seitens des Universitätsarchivs viele erholsame Urlaubstage, vielleicht mit diversen Museumsbesuchen, oder auch einfach einigen unterhaltsamen Geschichten…

Und mit dieser Geschichte hier wollen wir einmal mehr auf eine unserer Publikationen aufmerksam machen: auf den Band, der die Vorträge unserer Insignien-Tagung vom Februar 2017 dokumentiert (Szepter, Ketten und Pokale. Die Insignien der Ludwig-Maximilians-Universität Ingolstadt – Landshut – München). Dieser ist in Vorbereitung und wird wohl im Frühjahr 2018 vorgelegt werden – bleiben Sie also neugierig!

WS

 

Hinweise:

Adolf Rieth: Vorzeit gefälscht. Tübingen 1967

Fälschungen. NS-Kunsterbe im Sumpf. In: Spiegel 19/1968 vom 6.5.1968, S. 161f

Torsten Gebhard: Die Instandsetzung der beiden Szepter der Ludwig-Maximilians-Universität in München, in: Deutsche Kunst und Denkmalpflege (1953), 137-140

Wir danken Frau Dr. Suzanne Bäumler für die Überlassung der Fotos von Luitpold Pirzl und dem Schreiben des Rektors in der Empfänger-Ausfertigung.


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