Universitätsarchiv
print

Links und Funktionen

Navigationspfad


Inhaltsbereich

September 2017

Vorlesungsmitschnitte des Theologen Otto Kuss

Heutzutage ist es durchaus üblich, dass universitäre Vorlesungen nicht nur persönlich im Hörsaal sondern auch per Stream bequem vom heimischen Sofa aus verfolgt werden können. Sofern dieser Stream vollständig gespeichert und unter archivfachlichen Gesichtspunkten bearbeitet würde, könnte er in ferner Zukunft noch Zeugnis ablegen über die Inhalte und den Charakter der Lehrveranstaltungen unserer Zeit (und den Charakter des Dozenten). Wer erinnert sich aber im Detail an Vorlesungen, die in den 1960er und 1970er Jahren besucht wurden? Im Gedächtnis hängen geblieben sind vielleicht die fachlichen Steckenpferde, die Besonderheiten und "Macken" der jeweiligen Hochschullehrer. In gut geführten Studienunterlagen existieren noch Mitschriften, die aber wohl nie lückenlos sind, zudem Kommentare und Umformulierungen enthalten, durch Auslassen und Hinzufügen zusammenhanglos sein können. Ähnliches gilt auch für die Vorlesungsskripte der Lehrenden. Als vollständige und authentische Überlieferung der Vorlesung, also des tatsächlich Gesagten, käme damit nur der Mitschnitt in Ton und ggf. Bild in Frage.

Schon in der vordigitalen Zeit kam so etwas an der LMU vor: Einige Vorlesungen von Otto Kuss, 1960 als Ordinarius für Neutestamentliche Exegese und biblische Hermeneutik an die Katholisch-Theologische Fakultät berufen, wurden von seinem Assistenten Werner Bracht auf Tonband aufgenommen. Später erfolgte die Überspielung auf Audiokassetten, welche ins Universitätsarchiv gelangten.

Otto Kuss (1905-1991), gebürtiger Schlesier, studierte Theologie und Philosophie in Breslau und Bonn, wurde 1931 promoviert und empfing im selben Jahr die Priesterweihe. Nach seiner Beschäftigung als Präfekt des Erzbischöflichen Knabenkonvikts in Glogau und Domvikar in Breslau hatte er Professuren in Regensburg und Paderborn, schließlich in München inne. Die Emeritierung erfolgte zum Wintersemester 1972/1973, danach übte er seine Dozententätigkeit auf dem eigenen Lehrstuhl noch vertretungsweise aus. Im Laufe seiner Jahre an der LMU las er u. a. zur Theologie der synoptischen Evangelien, zur Theologie der paulinischen Hauptbriefe, des Hebräer-, Römer- und Galaterbriefs, zu Johannes dem Täufer, zu Paulus, zur Botschaft Jesu und dessen Gleichnissen.

kuss_247x300

Otto Kuss

(zum Vergrößern bitte anklicken)

Die Kuss'schen Kassetten stehen hier stellvertretend für den großen Bereich der analogen audiovisuellen Medien, denn nicht nur bei Privatpersonen lagern, mitunter unentdeckt, Schallplatten, Audio- und Videokassetten, Tonbänder, Filmrollen oder noch andere Formate in Kellern und auf Dachböden. Auch Archive sind ein Hort solchen Materials.

Selbst wenn analoge Datenträger teilweise eine kleine Renaissance erleben, allen voran das "gute alte" Vinyl in verschiedenen Musikgenres, und selbst wenn hier die technische Weiterentwicklung noch nicht am Ende sein mag (Stichwort "HD-Vinyl"), ist deren Lebensdauer begrenzt. Durch Abnutzung und ungünstige Umwelteinflüsse wie unsachgemäße physische Lagerung und starke Klimaschwankungen können auch widerstandsfähigere Materialien mit der Zeit unbrauchbar werden. Es drohen die Unlesbarkeit des Datenträgers und damit der Verlust der gespeicherten Informationen. Folglich kommt der Umwandlung analoger audiovisueller Medien in digitale Formate eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Die Digitalisierung ist ein wichtiger, ja unverzichtbarer Teil der Erhaltung von Kulturgut. Dazu zählen im Nachgang ebenfalls die Umwandlung in langfristig sichere Dateiformate, die Langzeitspeicherung in speziellen Hardwareumgebungen sowie die strategische und regelmäßige Migration und Spiegelung der Daten, da ansonsten auch hier, wie bei analogen Medien, Informationsverluste auftreten können.

Vor allem in Archiven liegen oft Materialien vor, die nicht mit dem Ziel der massenhaften Veröffentlichung hergestellt wurden, sondern im Gegenteil unikalen Charakter besitzen, z. B. Aufzeichnungen von Reden, Sitzungen, Diskussionsrunden, Interviews, Aufführungen usw. Hier ist hinsichtlich der Digitalisierung mitunter Eile geboten, da selbst bei bestmöglicher Lagerung die Haltbarkeit der Datenträger nicht unendlich ist, insbesondere wenn sie bereits vor der Übernahme ins Archiv nicht adäquat behandelt und aufbewahrt wurden. Außerdem stehen funktionsfähige Geräte zur Wiedergabe antiquierter Formate (Tonbandgeräte, Filmprojektoren etc.) nicht mehr ohne Weiteres zur Verfügung.

Glücklicherweise gibt es heute zahlreiche Firmen, die sich auf die Digitalisierung von audiovisuellen Medien spezialisiert haben und in der Lage sind, selbst Datenträger in kritischem Zustand zu restaurieren, die Inhalte in Digitalisate umzuwandeln und somit für die Nachwelt wieder verfügbar zu machen.

alle_kassetten_zusammen_300x232

Der tönende Nachlass von Otto Kuss

Dem Münchner Universitätsarchiv liegen 156 Audiokassetten vor, die Vorlesungsmitschnitte aus den Jahren von 1962 bis 1975 enthalten. Die Spieldauer der Aufzeichnungen beträgt knapp 200 Stunden. Nach der Ordnung der Kassetten anhand der detaillierten Beschriftungen konnten sie zur externen Digitalisierung abgegeben werden, welche neben der Überspielung der Kassetten den Schnitt der Audiodateien sowie eine Klangoptimierung beinhaltete. Im Anschluss an die Übergabe der Digitalisate erfolgte deren Nachbearbeitung und Verzeichnung, also die Aufnahme von beschreibenden Metadaten in eine Datenbank, wobei sich der Verzeichnungsinhalt wiederum auf die Beschriftungen, aber auch auf die von Otto Kuss in den Vorlesungsverzeichnissen der LMU angekündigten Lehrveranstaltungen stützte. Darüber hinaus wurden die Metadaten in abgewandelter Form in den Audiodateien selbst, als eingebettete Metadaten, gespeichert.

Das Universitätsarchiv beherbergt zwar in seinen Beständen bereits einige analoge audiovisuelle Medien, darunter Filmrollen und Tonbänder, aber wer weiß: Vielleicht schlummern in der Universität und bei deren (ehemaligen) Angehörigen Schätze ähnlicher Art, die es erst noch zu heben gilt.

Einen kleinen Eindruck der Vorlesungen von Otto Kuss kann man sich anhand eines hier verfügbaren beispielhaften Zusammenschnitts (MP3, 18 Minuten, 34 MB) verschaffen. Die Datei wurde aus fünf kurzen Szenen der Jahre von 1962 bis 1968 kompiliert. Das Mittelstück bildet ein Ausschnitt aus der Vorlesung vom 18. Oktober 1968 zum Thema "Die Verkündigung Jesu nach den in den synoptischen Evangelien überlieferten Gleichnissen", wobei Otto Kuss hier auf das Gleichnis des barmherzigen Samariters eingeht.

Das Universitätsarchiv möchte sich an dieser Stelle ausdrücklich bedanken bei Prof. Dr. Franz Xaver Bischof, Prof. Dr. Knut Backhaus (beide Katholisch-Theologische Fakultät) und der Pfarrer-Elz-Stiftung für die organisatorische sowie finanzielle Unterstützung sowie bei Herrn Horst Wanetschek, Murnau, für die Überlassung der Kassetten. Die Firma faktura gGmbH, Berlin, wiederum ist verantwortlich für die gelungene Digitalisierung.

 

DS

 

Quellen

  • UAM, E-II-2182 (Personalakte Otto Kuss)
  • UAM, NL-072 (Nachlass Otto Kuss)

Servicebereich