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August 2009

Zensur von Gebetbüchern durch Johann Michael Sailer, 1781
(Archiv des Herzoglichen Georgianums, II 316)

Johann Michael Sailer Vollständiges Lese- und Gebetbuch

Seine erste Brachzeit, nämlich nach der Entlassung in Ingolstadt Jahresende 1781, nütze Johann Michael Sailer, der fruchtbarste katholische Theologe im deutschsprachigen Raum zwischen Aufklärung und Romantik, zu intensiver geistiger Arbeit. So entstand zunächst das Werk, das ihn in breiten Kreisen bekannt und berühmt machte, sein „Vollständiges Lese- und Betbuch für katholische Christen“ (München 1785). Es folgten zahlreiche Auflagen, auch im 19. Jahrhundert. Angesichts der oft recht zweifelhaften umlaufenden Andachtsbücher hatte der pfalzbayerische Kurfürst Karl Theodor 1781 eine Verordnung erlassen, daß alle Buchhändler und Drucker ihre Gebetbücher an die Theologische Fakultät der Universität Ingolstadt einsenden und ohne deren Approbation künftig keines mehr auflegen oder verkaufen sollten. „Auf diesen Befehl“, erzählt der alte Sailer seinem Freund und Schüler Diepenbrock, „flog von allen Seiten eine Wolke von papierener Andacht herbei, und mir, als dem jüngsten Professor der Theologie, wurde der Auftrag, diese Masse von Büchern zu durchsehen und mein Gutachten darüber abzugeben; wahrlich ein unangenehmes Geschäft! Ich fand unter den unzähligen Büchern nur äußerst wenige, die auch nur den billigsten Forderungen, welche man an ein Andachtsbuch fürs Volk machen kann, entsprachen, ja fast keine außer dem Thomas a Kempis.“ Genau diejenigen Archivalien, welche diese Episode illustrieren, sind jetzt im Archiv des Herzoglichen Georgianums aufgetaucht: insgesamt 22 Einzelgutachten von der Hand des jungen Sailer nebst einem „Aufsatz“. Eine unschätzbare, bisher nicht ausgewertete Quelle zu den pastoraltheologischen Anschauungen Johann Michael Sailers! Von Freunden aufgefordert, machte sich nun Sailer daran, ein neues Gebetbuch zusammenzustellen. Freunde finanzierten auch die erste Drucklegung. Das „Vollständige Lese- und Betbuch“ hatte ungeahnten Erfolg. An die Stelle schauerlich-breiter Phantasie-Schilderungen, wie etwa die Seelen im Fegfeuer gequält würden, setzte Sailer die kraftvoll-tröstenden Worte der Heiligen Schrift, der kirchlichen Liturgie und Texte aus den Werken der Kirchenväter. Sailers Verdinest wird dadurch nicht geschmälert, daß er wohl Vorlagen benütze und für manche Texte, etwa in der vollständigen Übersetzung des Kanons und auch der ganzen heiligen Messe, bereits Vorbilder zur Verfügung standen. Der reißende Absatz des Werkes beweist, wie lebendig das Bedürfnis nach echter geistlicher Erbauung in allen Schichten der Bevölkerung war, nach der oft schier erstickenden Überlast der Barockzeit und der verflachenden Wirkung der Aufklärung.

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