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Januar 2017

Reklame und Verpackung für das Haarwasser „Eutrichol“, ca. 1910/11

(UAM, E-II-2593, Bd. 2)

Dass alles Historische, egal ob Dokument oder Dreidimensionales, eine mitunter magische Anziehungskraft auf jeden Archivar ausübt, dürfte bekannt sein und ist quasi als Berufskrankheit aber auch beinahe als Berufsvoraussetzung anzusehen. Kommt dann noch ein Faible für Reklame aus der „guten alten Zeit“ hinzu, sei es in Form von Zeitungsanzeigen, Werbetafeln oder auch -plakaten, ist das Glück perfekt, wenn sich unverhofft in einer herkömmlich anmutenden Akte etwas wirklich Besonderes findet, wie es im Fall des Dermatologen Notthafft geschehen ist. In seiner dem Senatsbestand entstammenden Personalakte sind neben Flaschenetiketten und einem großformatigen Werbeplakat auch eine gefaltete Flaschenschachtel im Bestzustand sowie ein Beiheft über die Bedeutung des Haarwassers „Eutrichol“ überliefert.

Hergestellt in der Münchner Luisenstraße unweit des Königsplatzes bei Dr. Peters war besagtes Einreibemittel sowohl mit als auch ohne Fettgehalt in blauen bzw. grünen Flaschen zu haben. In Peters‘ chemischem Laboratorium wurden offenbar noch weitere ähnliche Produkte fabriziert. So wird auf der Rückseite der Eutrichol-Schachtel für „Leukon – Zahnarzt Leypold’s Mund- und Gurgelwasser“ geworben.

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Schachtel einer Eutrichol-Flasche

(zum Vergrößern bitte anklicken)

Auch wenn die Reklamestücke für das Kosmetikum aus heutiger Sicht unschuldig, schön, vielleicht kitschig wirken – der Zusammenhang, in welchem sie innerhalb der Akte stehen, ist es eher nicht.

Albrecht Notthafft Freiherr von Weißenstein, geboren 1868 in München als Sohn des späteren Königlich Bayerischen Eisenbahndirektors gleichen Namens, entstammte einem oberpfälzischen, ursprünglich egerländischen Adelsgeschlecht. Er studierte zuerst an der Ludwig-Maximilians-Universität München, danach an den Universitäten Erlangen und Würzburg, wo er 1892/1893 promoviert wurde und schließlich die ärztliche Prüfung ablegte. Nachdem er an verschiedenen Orten zunächst praktisch tätig gewesen war, folgte die Habilitation für die Fachgebiete Dermatologie und Syphilidologie im Jahre 1899 wiederum in München mit einer Arbeit „Ueber die Verminderung der Widerstandsfähigkeit des Körpers gegenüber Infectionen, insbesondere durch Organerkrankungen“. Anschließend wurde er Privatdozent an der LMU, Ende 1910 erhielt er Titel und Rang eines außerordentlichen Professors und reihte sich damit neben die im selben Fach beheimateten Dozenten Karl Posselt, Karl Kopp und Richard Barlow ein. 1913 wurde im Rahmen des Nachbesetzungsverfahrens der außerordentlichen Professur für Haut- und Geschlechtskrankheiten des inzwischen verstorbenen Karl Kopp seitens des Staatsministeriums bemängelt, dass weitere in Bayern beschäftigte und einschlägig qualifizierte Personen, darunter auch Notthafft, vom universitären Berufungsgremium nicht gewürdigt und berücksichtigt worden seien. Letztendlich wurde die vakante Stelle mit dem von der Universität Wien kommenden Leo von Zumbusch besetzt, welcher sich künftig in der dermatologischen Forschung und Lehre ein beachtliches Renommee erwerben und dem Fach zu gesteigertem Ansehen verhelfen sollte.

Was hat dies alles nun aber mit der Reklame für das Haarwasser „Eutrichol“ zu tun? Am 22. November 1910 veröffentlichte Notthafft einen Artikel im „Aerztlichen Vereinsblatt für Deutschland“, den er als „Warnung vor dem Spezialfach der Dermatologie“ betitelte. Notthafft vermerkt hier, dass Dermatologen die in den größeren Städten am häufigsten vertretenen Mediziner im Verhältnis zur Zahl der Erkrankten seien. Weiter attestiert er einer großen Zahl niedergelassener Hautärzte entweder eine gar nicht vorhandene oder nur unzureichende akademische Spezialausbildung und gleichzeitig ein teils unproportional hohes Einkommen; als Dermatologe könne man sozusagen mit wenig Fachkenntnis gutes Geld machen. Er benennt beispielhaft fünf solche „Pseudospezialisten“, wenn auch nicht namentlich, und fügt an:

„[…] Ein Vierter, der ebenfalls ganz ungenügend ausgebildet ist, lässt durch eine Fabrik einen En-tous-cas-Haarspiritus verkaufen, welcher auf Rezept nicht mehr zu haben ist. Der gleiche Herr behandelte jahrelang heimlich hinter dem Rücken von Militärarzt und Direktor die akuten gonorrhoischen Affektionen [d. h. Tripper-Erkrankungen] der Schüler einer Militärschule und erzeugte […] massenhaft Komplikationen und chronisches Leiden. Geschadet hat es ihm nichts. Im Gegenteil: er ist heute ‚Garnisonsarzt‘, d. h. der Vertraute der meisten liebeskranken Leutnants.“

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Beiheft über die Bedeutung und Wirkungsweise

des Haarwassers mit Markierungen Notthaffts

Ferner prangert Notthafft die „marktschreierischen Reklamen“ von medizinischen Laien, Naturheilkundigen und Friseuren an, die ein Haar ihrer Klientel „mikroskopisch“ untersuchen, etwas Krankhaftes feststellen, eine Massage zuzüglich Haarwasser verschreiben und nach einem Monat wiederum konstatieren, „dass die Haarwurzeln schon viel gesünder seien“. Neben dieser „Pfuscher“-Konkurrenz nennt er noch andere Gründe, die zur merklichen Verminderung der Patientenzahl und der Einnahmen für ordentlich geschulte Dermatologen führten. Beispielsweise sorgten die Herausbildung anderer Disziplinen wie der Urologie aber auch Reformen im Krankenversicherungswesen dafür. Er wolle dementsprechend mit diesem Artikel dazu beitragen, „junge Aerzte vor dem Ergreifen dieses Spezialfaches zu warnen“.

Für Dr. Constantin Wiedmann, Hautarzt in der Theresienstraße, der sich durch den oben zitierten Auszug persönlich angegriffen sah, war diese Abhandlung der Anlass für eine Privatklage wegen Beleidigung. Am 25. November 1910, also nur drei Tage nach der Veröffentlichung des Corpus Delicti, sprach der Anwalt Wiedmanns, Dr. Klöpfer, bei Notthafft vor und fragte ihn, ob sich die Ausführungen im Artikel explizit auf seinen Mandanten bezögen. Notthafft erwiderte eigener Aussage zufolge: „Ich verweigere die Namensnennung, erkläre aber ausdrücklich, dass dies nicht heissen soll, dass ich Herrn Wiedmann nicht gemeint habe.“ Daraufhin soll Klöpfer gesagt haben, dass er im Falle eines Eingeständnisses Notthafft die Aufforderung zum Pistolenduell hätte übergeben müssen.

Der Beklagte versuchte noch, dem drohenden gerichtlichen Verfahren mit Hilfe einer Stellungnahme in der übernächsten Ausgabe des „Ärztlichen Vereinsblatts“, worin er betont, niemandes persönliche Ehre bezweifeln zu wollen, zu entkommen. Dennoch kam es am 16. März 1911 zur Hauptverhandlung vor dem Münchner Schöffengericht, worüber zwei Tage später die Augsburger Abendzeitung wie folgt berichtete.

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Flaschenetiketten

Notthafft räumte zu Beginn ein, dass der fragliche Passus auf die Person Wiedmanns abziele. Der als Sachverständiger hinzugezogene Prof. Kopp wiederum sagte aus, dass es nicht einfach zu beantworten sei und auch keine Regelung dafür existiere, ob sich jemand „Spezialist“ nennen dürfe, dass es aber durchaus einige solcher unfachmännischen Pseudospezialisten gebe. Gegenüber dem Kläger sei der Vorwurf der Scharlatanerie allerdings ungerechtfertigt. Zu beanstanden sei aber, dass „ein Arzt seinen Namen für ein Haarwasser hergibt, das doch mehr oder minder Reklamezwecken dient und dem Publikum in 90 von 100 Fällen nicht den versprochenen Erfolg bietet.“ Weitere als Zeugen geladene Ärzte sahen in den Aussagen von Notthaffts Artikel lediglich einen „verächtlichen Brotneid“ und berichteten, dass sich der Beklagte auch schon anderweitig abfällig über Wiedmann geäußert habe.

Nach einigem Hin und Her endete die Verhandlung mit einem Vergleich: Notthafft sah die gegen Wiedmann gerichteten Aussagen als unbegründet an und nahm diese bedauernd zurück. Ferner musste er 300 Mark an die Unterstützungskasse für hilfsbedürftige und invalide Ärzte in München zahlen sowie die Kosten des Verfahrens und die Auslagen des Klägers übernehmen. Eine Veröffentlichung von Richtigstellungen und Abbitten in einer späteren Ausgabe des „Ärztlichen Vereinsblatts“ sowie in der „Münchener Medizinischen Wochenschrift“ kamen noch hinzu.

Damit war die ganze Sache allerdings noch nicht ausgestanden. Im August desselben Jahres reichte Wiedmann eine Beschwerde über Notthafft beim Staatsministerium ein. Letzterer musste sich gegenüber dem Universitätsrektorat äußern und widersprach der abgedruckten, aus seiner Sicht parteiischen Version in der „Augsburger Abendzeitung“ in vielen Punkten, wofür er eine ausführliche Stellungnahme mit 19 Beilagen, darunter auch die Eutrichol-Reklame, vorlegte. Demnach hätte man in der Gerichtsverhandlung Notthaffts Argumente in unzureichendem Maß beachtet, die meisten Zeugen seien dem Kläger nahestehend und damit parteiisch gewesen, wodurch er – Notthafft – sich aufgrund des auch sonst für ihn ungünstigen Prozessverlaufs genötigt sah, den Vergleich anzunehmen. Weiter brachte er von maßgebenden Personen gestützte Argumente vor, dass Wiedmann keine den Mindestforderungen der deutschen dermatologischen Hochschullehrer entsprechende Ausbildungszeit genossen habe. Letztlich bezeichnete er die Werbung für das Haarwasser als unstatthaft, weil dort unrichtige Dinge, die für jeden Sachverständigen als solche erkennbar wären, behauptet würden.

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Werbeplakat

Am 18. Dezember 1911 ging ein Schreiben des Rektors der Ludwig-Maximilians-Universität an Wiedmann, woraus hervorgeht, dass sich der Senat mit der eingegangenen „Anzeige“ befasst hatte und nun wissen wollte, warum der Kläger einen durch Vergleich eigentlich erledigten Prozess nochmals aufleben lasse. Wiedmann behauptete daraufhin erfahren zu haben, dass Notthafft direkt nach der Hauptverhandlung in einigen Zeitungsredaktionen vorgesprochen habe, um zu erwirken, dass über den Prozess keine oder nur für seine Person günstige Meldungen veröffentlicht werden sollten. Weitere Nachforschungen und Bitten an Wiedmann zur Erbringung von Beweisen brachten keine Veränderungen der Lage, wonach der Senat im Juli 1912 beschloss, dass nach Abwägung der Details kein Anlass „zu dienstaufsichtlichem Einschreiten“ gegen Notthafft gegeben sei. Die Sache konnte damit zu den Akten gelegt werden.

Im Jahre 1937 endete Notthaffts Lehrbefugnis an der Ludwig-Maximilians-Universität. Er verstarb 1950 in München und ist auf dem Waldfriedhof in einer noch heute existierenden Familiengrabstätte bestattet.

Ob den damals Beteiligten in dieser Angelegenheit wegen Haareraufens aufgrund der Ärgernisse das Haupthaar lichter zu werden drohte und ob sie diesem Umstand mittels Eutrichol vorbeugten, ist indes nicht überliefert.

 

DS

 

Quellen

  • UAM, E-II-2593 (Personalakte Albrecht Notthafft Freiherr von Weißenstein)
  • UAM, E-XII-29 (Personalstand der Ludwig-Maximilians-Universität München, Wintersemester 1910/11)
  • UAM, N-I-89, Bd. 2 (Akten der Medizinischen Fakultät für das Studienjahr 1912-1913; Lehrkörper: Professoren, Lehrbeauftragte, Berufungen, Beurlaubungen)
  • Webauftritt der Familie Notthafft (http://www.notthafft.de/)

Literatur

  • Bellinger, Gerhard J. / Regler-Bellinger, Brigitte: Schwabings Ainmillerstrasse und ihre bedeutendsten Anwohner: ein repräsentatives Beispiel der Münchner Stadtgeschichte von 1888 bis heute; 2. durchges. Auflage, Norderstedt 2012
  • Weinert, Cornelia: Die Geschichte der Dermatologie und Venerologie in München; München 1970

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