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Juli 2017

Das Physikalische Kabinett der Universität München und sein Inventar: Anatomisches Modell eines menschlichen Auges

Leihgabe der LMU München an das Deutsche Museum, Inv.-Nr. 2646

Der lange Weg, den das hier vorgestellte Auge-Modell seit seiner Entstehung zurückgelegt hat, mag als Musterbeispiel dienen für die Schicksale universitären Sammlungsguts. Dabei sind es gerade die Abfolgen der Vorbesitzer, die solchen Objekten, aber besonders natürlich Gemälden, ihren speziellen Wert verleihen. Das Anatomiemodell eines menschlichen Auges stammt aus dem Physikalischen Kabinett, das bereits im 17. Jahrhundert am Ingolstädter Jesuitenkolleg eingerichtet worden war. Mit der Aufhebung des Jesuitenordens 1773 fiel das gesamte Inventar dieses Kabinetts an die Universität Ingolstadt, die erst durch diesen Zuwachs beginnen konnte, den Anschluss an den Stand der naturwissenschaftlichen Entwicklung des ausgehenden 18. Jahrhunderts zu suchen. Bei diesem Modell handelt es sich, genau wie bei dem Gemälde „Der ungläubige Thomas“ und bei den Porträts mit den Schriftstellern aus dem Orden der Augustiner-Chorherren, also um Säkularisationsgut. Das Physikalische Kabinett der Universität Ingolstadt wurde 1800 nach Landshut und 1826 nach München transportiert. Mitte des 19. Jahrhunderts schied man die historischen von den modernen Geräten. Genau an diesem Altbestand zeigten 1873 das Germanische Nationalmuseum und 1904 das Deutsche Museum unter seinem rührigen Gründer Oskar von Miller besonderes Interesse. Aufgrund der guten Verbindung zwischen Miller und dem damaligen Vorstand des Physikalischen Kabinetts Wilhelm Conrad Röntgen kam tatsächlich ein Leihvertrag über ca. 250 Objekte zustande. Nachdem die naturwissenschaftlichen Instrumente der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ebenfalls in das Deutsche Museum gekommen waren, nahm dieses einen Ersatzcharakter an für eine bis heute fehlende staatliche Sammlung solcher Geräte.

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Physikalisches Kabinett der Universität München, um 1900. Foto: Historische Sammlung der Fakultät für Physik   

              

[3]_anhang1_2k  Auszug aus dem Leihvertrag mit dem Deutschen Museum, 1904. Foto: Universitätsarchiv München/C. Stein.

Neben dem Auge-Modell werden beispielsweise Fernrohre von Brander in Augsburg erwähnt.

Dreht man die äußere Schale auf, offenbart das Auge sein Geheimnis, denn in seinem Inneren gibt es noch viel mehr filigran und schön gearbeitete Anatomie zu entdecken. Das Auge-Modell hat vier Schalen in seinem Inneren. Diese Schalen sind gedrechselt und passen mit höchster Präzision ineinander. Sie sind aus Elfenbein oder Horn gefertigt, die Schalendicke liegt mitunter unter einem halben Millimeter. Solche Werkstücke können nur mit größtem handwerklichen Geschick und einer sehr ruhigen Hand gefertigt werden. Die Blutgefäße, die das Auge versorgen, sind mit einer erstaunlichen Akribie aufgetragen. Die Linse wurde aus Glas gefertigt und die dazugehörige Schale auf das Genaueste angepasst. Die Sehmuskeln sind als modellierte Papierstreifen mit aufgemalten Blutgefäßen an genau den Stellen der Hülle aufgeklebt, wo sich auch im menschlichen Auge die Muskeln befinden würden. Auch nach mindestens drei Jahrhunderten hat dieses Modell nichts an Faszination und Gültigkeit verloren. Es bleibt zu hoffen, dass es im Deutschen Museum auch in der neuen Ausstellung „Optik“ ab 2019 wieder die Anatomie des Auges erklären wird.

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Deutsches Museum, Inv.-Nr. 2646. Foto: Deutsches Museum/S. Grießbach.

 

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Deutsches Museum, Inv.-Nr. 2646. Foto: Deutsches Museum/S. Grießbach.

Unklar bleibt lediglich, wann dieses Anatomiemodell geschaffen wurde. Nimmt man als Entstehungsdatum das frühe 17. Jahrhundert an – stilistisch spricht alles dafür –, so lässt sich eine Verbindungslinie ziehen zu einem Höhepunkt der Ingolstädter Physik unter dem Jesuiten Christoph Scheiner, der hauptsächlich Bekanntheit erlangte für seine unabhängig von, aber gleichzeitig mit Galileo Galilei geglückte Entdeckung der Sonnenflecken. Daneben befasste sich Christoph Scheiner mit der Anatomie und Optik des Auges. Scheiner erkannte die Netzhaut als Sitz des Lichtsinns. Auch erste Versuche zur Messung der Fehlsichtigkeit gehen auf ihn zurück. Daneben ist ausdrücklich bezeugt, dass Christoph Scheiner ein gläsernes Augenmodell entwickelte. Die Geräte, die Scheiner bei seinen Beobachtungen gebrauchte, wurden im späten 18. Jahrhundert im „Armarium mathematicum“, also im Physikalischen Kabinett, der Universität Ingolstadt aufbewahrt, wohin sie – im Stück des Monats September 2015 wurde darauf hingewiesen – nach der Aufhebung des Jesuitenordens 1773 gekommen waren. Nimmt man also die Nachrichten über den Verbleib von Scheiners Utensilien zusammen mit den Angaben über seine Forschungen zum Auge, so erscheint es als wahrscheinlich, dass das hier vorgestellte Modell wohl auf einen Prototypus des großen Jesuitenphysikers zurückgeht.

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Christoph Scheiner, Ölgemälde aus dem Orban-Saal, um 1730. Foto: Stadtmuseum Ingolstadt.

 

CS

 

Archivalien

BayHStA, Jesuitica 1948 (Inventar 1774);
BayHStA, MInn 23.685, 23.686 (Inventar und Korrespondenz 1806);
UAM, VA A-II-20a, Bd. 2 (Leihvertrag und Korrespondenz 1904).

Literatur

Wilhelm Füssl, „Weil ich sonst für die Sammlung schlimmes befürchte“. Wilhelm Conrad Röntgen und das Deutsche Museum, in: Kultur & Technik 1996/1, S. 11–19
Franz Daxecker, Christoph Scheiner und die Optik des Auges, in: Spektrum der Augenheilkunde 18 (2004), S. 201–204;
Franz Daxecker, Der Physiker und Astronom Christoph Scheiner, Innsbruck 2006, S. 116–120;
Claudius Stein, Die Kunstkammer des Augsburger Fürstbischofs Johann Egolph von Knöringen (1573–1575) und ihr Übergang an die Universität Ingolstadt 1573, in: Jahrbuch des Vereins für Augsburger Bistumsgeschichte 50 (2016), S. 237–310;
Susanne Griessbach, Augen auf! Der Blog des Deutschen Museums (20.6.2017)


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