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Mai 2017

Handunterschriften Ludwig Erhards im Universitätsarchiv

Am 24. September dieses Jahres wird sich, wenn sich die Bundesbürger an die Wahlurnen begeben haben, das Geschehen am Ende zuspitzen auf die Frage, wer in der dann anbrechenden Legislaturperiode Regierungschef bzw. -chefin der Bundesrepublik Deutschland sein wird, oder neudeutsch verknappt: „Wer kann Kanzler?“.

Passend dazu werden bereits jetzt im aktuellen Stück des Monats ein früherer Bundeskanzler, nämlich Ludwig Erhard, und insbesondere seine Rolle an der LMU kurz beleuchtet. Ferner bietet sich die Betrachtung Erhards in diesem Monat an, weil sich sein Geburtstag heuer zum 120. Mal und sein Todestag in diesem Monat zum 40. Mal jährt.

Der gebürtige Mittelfranke studierte an der Handelshochschule Nürnberg und der Universität Frankfurt, wo er 1924 auch promoviert wurde. Seit 1928 war er wiederum in Nürnberg als Assistent, später als Leiter des Instituts für Wirtschaftsbeobachtung tätig. 1945 folgte ein nur etwas mehr als einjähriges Intermezzo als bayerischer Wirtschaftsminister, nach der Gründung der Bundesrepublik 1949 übte er unter Konrad Adenauer die gleiche Funktion auf Bundesebene aus. Bis 1963 saß Erhard dem Ministerium vor und ist damit der bislang am längsten amtierende Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland. Im selben Jahr wurde Erhard, nach dem Rücktritt Adenauers, zum Bundeskanzler gewählt, bereits 1966 trat jedoch auch er von diesem Amt zurück.

Die „Dozenten-Laufbahn“ des damaligen Ministers begann mit dem einstimmigen Beschluss in der Fakultätssitzung der Staatswirtschaftlichen Fakultät der LMU am 2. Februar 1946, wonach beim Kultusministerium beantragt werden sollte, ihn und auch Kultusminister Franz Fendt zu Honorarprofessoren zu ernennen. Bereits im März wurde Erhard daraufhin ein Lehrauftrag über wirtschaftspolitische Gegenwartsfragen (einstündig) erteilt, im April erhielt er die Nachricht der Zustimmung der Militärregierung zu seiner universitären Tätigkeit.

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Zustimmung der Militärregierung zur Vorlesungstätigkeit

(zum Vergrößern bitte anklicken)

Im August 1946 bat Erhard den Rektor der LMU um die Entbindung von seiner Lehrverpflichtung im laufenden Sommersemester, da er als bayerischer Wirtschaftsminister stark in die Planung der wirtschaftlichen Vereinigung der englischen und amerikanischen Besatzungszone involviert sei. Zudem wurde am 29. August 1946 seitens der Fakultät beschlossen, dass seine Ernennung zum Honorarprofessor hinausgeschoben werden sollte, nämlich „aus Gründen der augenblicklichen hochschulpolitischen Situation und der allgemeinen Einstellung zu Fragen der Ernennung von im öffentlichen Leben stehenden hervorragenden Persönlichkeiten“1. Allerdings, so die Aussage, sollte Erhard in Kenntnis gesetzt werden, dass man beabsichtige, ihn „enger mit der Fakultät zu verknüpfen“2. Ein Lehrauftrag über Wirtschaftspolitik (eine einstündige Übung) wurde im Dezember genehmigt. Zu Beginn des Jahres 1947 kam die Gründung eines außeruniversitären „Instituts für Wirtschaftsbeobachtung und Wirtschaftsberatung“ durch Erhard ins Gespräch, wobei u. a. der bayerische Finanzminister und LMU-Professor Fritz Terhalle sowie der Dekan der Staatswirtschaftlichen Fakultät Wilhelm Credner involviert waren. Eine zukünftige Zusammenarbeit zwischen Institut und Fakultät war seitens Erhards ausdrücklich erwünscht. Im Februar ging der Antrag auf Ernennung zum Honorarprofessor schließlich ans Ministerium; im April wurde dem zu Ernennenden ein Lehrauftrag über Marktforschung (eine einstündige Vorlesung) genehmigt. Ab dem 7. November 1947 konnte Erhard sich schließlich „Honorarprofessor“ nennen. Schon im Dezember musste er allerdings ankündigen, im nachfolgenden Sommersemester wegen anderweitiger Verpflichtungen keine Lehrveranstaltungen abhalten zu können.

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Dankschreiben zur Ernennung zum Honorarprofessor;

Ludwig Erhard teilt seine Abwesenheit von München mit.

In den universitären Vorlesungsverzeichnissen hat Erhard damals einige wenige einstündige Lehrveranstaltungen angekündigt: für das Sommersemester 1946 – seither wurde er als Teil des Lehrkörpers geführt – „Die Konjunktur- und Krisentheorien“ und ein „Wirtschaftspolitisches Kolloquium“ (Übung), für das Sommersemester 1947, jetzt als Lehrbeauftragter, „Voraussetzung, Mittel und Ziele der Marktforschung“ und ein „Kolloquium zur Marktforschung“ (Übung), letztlich für das Wintersemester 1947/1948 „Pläne der Währungsbereinigung“ (mit zugehöriger Übung) sowie erneut ein „Wirtschaftspolitisches Kolloquium“ (Übung). In den folgenden Semestern kündigte er keine Veranstaltungen mehr an. Ab dem Sommersemester 1948 wurde Erhard gleichwohl als Honorarprofessor in den Vorlesungsverzeichnissen geführt und blieb dies auch bis zum Sommersemester 1977, also bis zu seinem Tode. Offenbar hatte er jedoch spätestens seit der Ernennung zum Bundeswirtschaftsminister und auch in seiner Amtszeit als Bundeskanzler kaum noch Kontakt zur LMU.

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Dankschreiben an den Dekan anlässlich der Wahl bzw. Wiederwahl zum Bundeskanzler

Auch wenn Erhard gemeinhin als Ikone der frühen Bundesrepublik und „Vater des Wirtschaftswunders“ gilt, sind sein politischer Erfolg und seine Bedeutung für den wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands nicht unumstritten. So kommentierte 1997 Erich Eyermann, früherer Präsident des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, die Ehrungen für Erhard anlässlich dessen 100. Geburtstags in Ergänzung zu seinem sechs Jahre früher erschienenen Beitrag „Karl Marx tot – Ludwig Erhard lebt? Wirtschaft, Politik und die Macht des Faktischen“: „Ludwig Erhard war nicht der Mann, der Geschichte gemacht hat, er war der Mann, den Geschichte gemacht hat.“3 Weiter schreibt Eyermann: „Wer tiefer sieht, erkennt sofort, daß Erhards Glorie nur Widerschein des Erfolgs der Marktwirtschaft nach trostlos zerrütteter Zwangswirtschaft, keineswegs aber Ergebnis seines Wirkens war.“4

Insgesamt betrachtet scheint es fraglich, ob Erhard angesichts seiner weitreichenden politischen Verpflichtungen überhaupt jemals in der Lage gewesen ist, an der LMU zu lesen oder Übungen abzuhalten. Dass es dazu aber gekommen sein muss, kann man gleichfalls bei Eyermann nachlesen: „Erhards Vorlesungen sind denn auch, wie ich noch nach fünfzig Jahren von einem damaligen Studenten hörte, bei den damaligen Hörern keineswegs angekommen, kein Wunder, bei der ‚Konkurrenz‘ von Adolf Weber und Otto von Zwiedineck-Südenhorst.“5

Für die Gewichtung der Erfolge und Misserfolge Erhards in Politik und Wissenschaft ist an dieser Stelle freilich kein Raum. Es bleibt zu sagen, dass er letztlich noch auf eine andere, ungewöhnlichere Weise mit der LMU verbunden bleibt, denn er hielt bei einem Festbankett im Alten Rathaussaal 1958 den bekannten Schiffspokal, welchen die Universität Ingolstadt gegen Ende des 16. Jahrhunderts vom späteren Kaiser Ferdinand II. zum Geschenk bekommen hat, in Händen. Glücklicherweise existiert hiervon eine Fotografie, die, so wie der Pokal selbst, vom Universitätsarchiv verwahrt wird.

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Schiffspokal der Universität Ingolstadt (um 1594);

Ludwig Erhard mit Schiffspokal, 1958

Der Schiffspokal wird übrigens im Rahmen der am 9. Mai beginnenden Bayerischen Landesausstellung 2017 in Coburg zu sehen sein.

 

DS

 

  • 1 Protokoll der Fakultätssitzung am 29. August 1946; UAM, M-III-7.
  • 2 Ebd.
  • 3 Anhang zum Schreiben von Erich Eyermann an den Dekan der Volkswirtschaftlichen Fakultät vom 23.03.1997; UAM, FakVWL-IX-6.
  • 4 Ebd.
  • 5 Ebd.

Quellen

  • UAM, E-II-1248 (Personalakte Ludwig Erhard)
  • UAM, FakVWL-IX-6 (Volkswirtschaftliche Fakultät, Personalakte Ludwig Erhard)
  • UAM, G-III-2, Bde. 28-47 (Personen- und Vorlesungsverzeichnisse, SS 1946 bis SS 1977)
  • UAM, M-III-7 (Sitzungsprotokolle Staatswirtschaftliche Fakultät, 1946 bis 1947)
  • UAM, M-IX-138 (Staatswirtschaftliche Fakultät, Personalakte Ludwig Erhard)

Literatur

  • Boehm, Laetitia / Spörl, Johannes (Hrsg.): Ludwig-Maximilians-Universität. Ingolstadt – Landshut – München. 1472-1972; Berlin 1972
  • Die Hochschullehrer der Wirtschaftswissenschaften in der Bundesrepublik Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz, hrsg. von der Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Verein für Socialpolitik gegr. 1872; 2. Auflage, Berlin 1966

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