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November 2016

Schreiben des Dekans der Philosophischen Fakultät an den Akademischen Senat der LMU bezüglich der Neubesetzung des Lehrstuhls für bayerische Landesgeschichte (Nachfolge Sigmund von Riezler), 30.10.1917, UAM, O-I-98.

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Bereits 1898, als man Sigmund Riezler zum ersten Lehrstuhlinhaber für bayerische Landesgeschichte an der Münchner Universität berufen hatte, war auch Michael Doeberl für diesen Posten im Gespräch gewesen – als Wunschkandidat der Zentrumsfraktion im bayerischen Landtag. Michael Doeberl, geboren am 15. Januar 1861 in Waldsassen und aus bäuerlichen Verhältnissen stammend, hatte nach dem Studium der Philologie und Geschichte in München sein Geld als Gymnasiallehrer in Passau und München verdient. Der Promotion 1887 an der Universität Erlangen folgte 1894 die Habilitation an der Münchner Universität, wo Doeberl zum Wintersemester 1894/95 seine Vorlesungstätigkeit als Privatdozent aufnahm. Nur kurze Zeit nach Riezlers Berufung dürfte das Verhältnis zwischen dem nationalliberalen Lehrstuhlinhaber und dem konservativen Doeberl freilich schon mehr als belastet gewesen sein, wozu auch die ganz unterschiedlichen Auffassungen der beiden über die Notwendigkeit der Gründung einer landesgeschichtlichen Kommission bei der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften beitrug: Riezler lehnte eine solche Gründung kategorisch ab, Doeberl befürwortete sie vehement. Und tatsächlich konnte sich Riezler in dieser Frage anfänglich durchsetzen – erst 1927 gelang die Einrichtung einer landesgeschichtlichen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.

Der inzwischen 74jährige erste Inhaber des Lehrstuhls für bayerische Landesgeschichte stellte am 1. Juli 1917 seinen Antrag auf „Enthebung von der Verpflichtung zu Vorlesungen vom Wintersemester 1917/18 an“, den das Kultusministerium am 12. August desselben Jahres genehmigte. Um den Nachfolger zu bestimmen, wurde ein „Ausschuß“ gebildet, dem – anders als das heute bei Wiederbesetzungen praktiziert wird – auch Riezler angehörte. Unübersehbar war freilich, daß nicht Michael Doeberl, der allein schon aufgrund seiner langjährigen Lehrtätigkeit an der Universität für viele als der einzig denkbare Nachfolger galt, sondern ein Schüler von Riezler, Karl Alexander von Müller, der sich jedoch erst einige Wochen zuvor habilitiert hatte, dessen Wunschkandidat war.

In den Jahren, die seit der Entscheidung von 1898 zugunsten Riezlers vergangen waren, hatte Michael Doeberl seinen Ruf, ein Sigmund Riezler ebenbürtiger Vertreter der bayerischen Landesgeschichte zu sein, immer stärker gefestigt. Seit 1894 hatte Doeberl bayerische Geschichte an der Münchner Universität gelesen, 1905 war er zum Honorarprofessor ernannt worden. Kennzeichnend für Doeberl ist darüber hinaus sein außeruniversitäres Wirken für die bayerische Geschichte: So hatte ihn Ende des Jahres 1903 Kultusminister von Wehner mit der Abfassung eines Handbuchs der bayerischen Geschichte beauftragt, das dann auch an den bayerischen Schulen weite Verbreitung fand. Noch zu Doeberls Lebzeiten erreichten die ersten beiden Bände seiner „Entwicklungsgeschichte Bayerns“ jeweils drei Auflagen. Seine eigentliche berufliche Laufbahn führte Michael Doeberl nach langen Jahren als Gymnasiallehrer und Lehrer am Münchner Kadettenkorps 1908 als Regierungs- und Studienrat für das Höhere Schulwesen ins bayerische Kultusministerium, 1914 folgte seine Beförderung zum Ministerialrat. Der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gehörte Doeberl seit 1903 als außerordentliches, seit 1916 als ordentliches Mitglied an.

Daß wiederum Karl Alexander von Müller der erklärte Wunschkandidat Riezlers war, hing wohl einerseits damit zusammen, daß Riezler ohnehin nur wenige Schüler um sich geschart hatte und daß andererseits Müller von ihm dazu ausersehen war, Riezlers „Geschichte Baierns“ fortzusetzen, die mit Band 8 im Jahr 1726 abbricht. Hinzuzufügen ist in diesem Zusammenhang, daß Müller die von seinem akademischen Lehrer gewünschte Fortsetzung nicht geleistet, ja daß er sie offensichtlich nie in Angriff genommen hat.

Doch zurück ins Jahr 1917, zu den Beratungen und Verhandlungen über Riezlers Nachfolge: In der ersten Sitzung der Berufungskommission am 4. Oktober 1917 zeigte sich rasch, daß es vor allem darum ging, ob Müller allein auf den ersten Platz der Berufungsliste gesetzt werden sollte, wie Riezler sich das wünschte, oder ob man sich für Müller und Doeberl „pari passu“ verständigen würde. Zur Lösung dieser Frage wurden Gutachten in Auftrag gegeben. Der bisherige Lehrstuhlinhaber referierte daraufhin in der folgenden Sitzung über Müller, der Historiker Hermann Grauert über Doeberl. Nachdem Riezler für Müller und Grauert für Doeberl auf Platz eins der Berufungsliste votiert hatten, einigte man sich in der Kommission nach langer und wohl auch harter Aussprache darauf, Doeberl und Müller der Fakultät „pari passu“ vorzuschlagen. Am 30. Oktober 1917 informierte schließlich der Dekan der Philosophischen Fakultät den Akademischen Senat der Universität über den am 18. Oktober gefaßten Beschluß der Fakultät bezüglich der Nachfolge auf dem Lehrstuhl für bayerische Landesgeschichte. In Übereinstimmung mit dem abschließenden Vorschlag der Kommission habe man Doeberl und Müller „pari passu“ gesetzt. Der Senat wurde aufgefordert, sich beim Ministerium dafür einzusetzen, daß Doeberl, falls er berufen werden sollte, von seinem Dienst als Ministerialrat entbunden werde. Als dann Anfang November der Dekan allen ordentlichen Professoren der Philosophischen Fakultät mitteilte, das Kultusministerium habe angeboten, Karl Alexander von Müller zum Syndikus der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und gleichzeitig zum Honorarprofessor zu ernennen, waren die Würfel für die Nachfolge am Lehrstuhl für bayerische Landesgeschichte endgültig gefallen. Am 1. Dezember 1917 wurde Michael Doeberl offiziell als Riezlers Nachfolger berufen.

KW

 

Literatur:

Matthias Berg: Karl Alexander von Müller. Historiker für den Nationalsozialismus; Göttingen 2014.

Katharina Weigand: Der Lehrstuhl für bayerische Landesgeschichte an der Universität München und sein erster Inhaber Sigmund von Riezler; in: Wilhelm Volkert / Walter Ziegler (Hrsg.): Im Dienst der bayerischen Geschichte. 70 Jahre Kommission für bayerische Landesgeschichte, 50 Jahre Institut für Bayerische Geschichte; 2. Aufl. München 1999, S. 307-350.

Katharina Weigand: Sigmund von Riezler (1843-1927) und Michael Doeberl (1861-1928); in: Katharina Weigand (Hrsg.): Münchner Historiker zwischen Politik und Wissenschaft. 150 Jahre Historisches Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität; München 2010, S. 159-184.


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