Januar 2010
Urkunde Heinrichs von Gumppenberg, Erbmarschall von Oberbayern, von 1449 Juni 29 (Universitätsarchiv München, J 88)
Als die Ludwig-Maximilians-Universität München 1472 in Ingolstadt von Herzog Ludwig dem Reichen von Bayern-Landshut als Hohe Schule gegründet wurde, bedurfte sie zu ihrem Betrieb einer ausreichenden finanziellen Ausstattung. Ihr Unterhalt wurde unter anderem durch die Übertragung von Besitz der Ingolstädter Pfarrei Zur Schönen Unserer Lieben Frau, auf Grund ihrer geographischen Lage auch die ‚Obere Pfarr’ genannt, gewährleistet. In Zuge dessen kamen auch mehrere, die Pfarrpfründen des Liebfrauenmünsters betreffenden Urkunden aus der Zeit vor 1472 an die Universität, die sich noch heute als Vorurkunden im Archiv der LMU München befinden.
Vorderseite der Urkunde von 1449 Juni 29
Die ausgewählte Urkunde aus der Mitte des 15. Jahrhunderts ist ein schönes Beispiel
für einen so genannten Gerichtsbrief, der veranschaulicht, wie ein Streit zwischen zwei
angesehenen Persönlichkeiten des geteilten Herzogtums Bayern versucht wurde gütlich beizulegen. Die Gerichtsverhandlung in Ingolstadt betrifft vor allem Weiderechte im Landgericht Aichach, genauer im Gebiet um die Dörfer Sielenbach und Schafhausen, sowie um die heute nicht mehr erhaltene Burg Stunzberg (Stumpfberg). Auf der Klägerbank sitzt Gabriel Glesein, der zwischen 1427 und 1469 Pfarrer der ‚Oberen Pfarr’ und langjähriger Vertrauter Herzog Ludwigs VII. von Bayern-Ingolstadt war. Auf der Anklagebank sitzt Peter Marschall von Stunzberg (Stumpfberg), der zwischen 1412 und 1429 als Pfleger der Stadt Friedberg belegt ist. Beide Parteien lassen sich vor Gericht durch Redner bzw. einen Rechtsbeistand vertreten. Die Namen des Angeklagten und der Burg legen nahe, dass die Burg Stunzberg einst Stumpfberg genannt wurde und dass sich die von Stumpfberg bzw. von Stunzberg nach eben dieser Burg benannten.
In vorliegendem Gerichtsstreit beschuldigt nun Pfarrer Glesein Peter Marschall von Stunzberg, die Leibeigenen des Ingolstädter Liebfrauenmünsters in Sielenbach sechs Jahre lang durch unerlaubtes Weiden seiner Schafe geschädigt zu haben und fordert die Einstellung dieses Gebarens sowie Schadensersatz für dadurch erlittene Nahrungs-, Weide- und Abgabenausfälle. Die Frage, warum Pfarrer Glesein erst nach sechs Jahren vor Gericht zieht, lässt sich wohl mit dem Hinweis auf die Gefangennahme seines ‚ursprünglichen’ Herrn, Herzog Ludwigs des Gebarteten, im Jahr 1443 beantworten, aus welcher dieser sich bis zu seinem Tod im Mai 1447 nicht mehr lösen konnte.
Jedenfalls bringt Peter Marschall zu seiner Verteidigung vor, dass er seine Schafe gemäß den Rechtsgewohnheiten seiner Vorfahren, den Schenken und den von Stunzberg, nicht in Sielenbach, sondern nur in Schafhausen weiden lasse und dass er, im Gegensatz zu seinen Vorfahren, diese Weiden nicht mit 1500 Schafen, sondern nur mit 500 Schafen bewirtschafte. Dieses wohl wenig stichhaltige Argument, dass er nicht in Sielenbach selbst weiden lasse, betont er im Verlauf der Verhandlung offenbar kein zweites Mal. Hingegen erklärt er ferner, dass er sich seiner Nutzungsrechte nun schon länger bediene und beansprucht, dass seine die Burg Stunzberg betreffende Kaufurkunde auch das Wohnhaus auf der Burg und die umliegende Hofmark beinhalten solle und fügt abschließend an, dass er während seiner Zeit als Pfleger von Friedberg überhaupt keine Schäferei betrieben habe.
Darauf antwurt Peter Marschalh daz in frembd beduncke Das her Gabriel wider dy
Schaf und traib rede nach dem und landtkundig sey Das sein vorderen und eer dy Schencken und annder dy Stumpffperg Innen gehabt haben ye und ye Schaf da gehabt haben So treib er auch seine Schaf nit gein Sielenpach Er hab dy zu Schafhausen und lass dy geen auf dy waid da sein vorderen und er dy ye und ye geen und getriben haben Er hab auch zwing pann und alle ehaft da und sein vorderen haben zw zeiten bey funfczehen hundert Schaffen da gehabt so hab er nwr bey funf hundert Schaffen Er sicze auch solher nuczung in stiller nucz und gewer lennger denn lanczrecht sey und begert des seinen kaufbrief umb Stumpffperg den sicz hausung und hofmarich zehorn und redt darauf Er war ein zeit pfleger zu Fridperg gewesen da hiet er dy Schaf nit gehabt
Im Gegenzug kann Pfarrer Glesein durch Vorlage eines Vidimus (lat. für ‚wir haben gesehen’; In der Diplomatik eine beglaubigte Urkundenkopie) argumentieren, dass dem Peter Marschall in Sielenbach jedenfalls nicht mehr als ein Hof, vier oder fünf Hofstätten und Weiderechte für 800, maximal 900 Schafe zustehen.
Gleichwohl beharrt Peter Marschall von Stunzberg darauf, dass die Gegend um Sielenbach zur Burg Stunzberg gehöre und dass die Marschall von Stunzberg in der Gegend um Sielenbach seit Langem Rechte an neun Höfen, 13 oder 17 Hofstätten sowie an der Schäferei innehätten. Er erklärt, dass er Burg Stunzberg vor langer Zeit rechtmäßig gekauft habe und deshalb um seine Rechte kämpfen will. Dieser Passus ist interessant, denn offenbar kann Peter Marschall – im Gegensatz zu seinem Kontrahenten, der immerhin ein Vidimus vorlegen kann – nicht (schriftlich) belegen, an wie vielen Hofstätten genau seine Familie nun Ansprüche geltend machen kann.
Darauf antwurt Peter Marschalh Sielenpach gehor zu dem Sicz Stumpffperg Es hab
auch der Marschalh wol nawn hof zu Sielenpach und darumb und dreiczehen oder sibenczehen hofstet und haben sein vordern und er yne und yne lenger dann der menschen gedachtnuss sey Schaffrey da gehabt daz well er weisen und furbringen des zum rechten genug sey Er hab auch das gut Stumpffperg mit seiner zugehorung erkauft und mit nucz und gewer ersessen lennger dann lanczrecht sey
Das Schiedsgremium, das sich aus dem Erbmarschall von Oberbayern, Heinrich von Gumppenberg, sowie sieben herzoglichen Räten (Wilhelm von Aichberg, Heinrich Nothaft, Georg Klosner, Georg von Kamer, Konrad Gumppenberger, Johann Seyboltstorffer und Urban Mauttner) zusammensetzt, wähnt sich daraufhin offenbar in einer verfahrenen Situation und so entscheidet die Mehrheit der Schiedsmänner nur, dass Peter Marschall von Stunzberg seine Aussagen innerhalb der nächsten 45 Tage entweder beweisen oder zusammen mit zwei unabhängigen Eideshelfern bei Gott und den Heiligen beeiden soll. Beim nächsten herzoglichen Hofgericht oder auf Geheiß des Herzogs soll in der Sache entschieden werden, wobei dieses Datum allein von der Muße Herzog Heinrichs des Reichen von Bayern-Landshut abhängt. Ein Urteilsspruch wird also erst einmal vertagt.
Und nach baider tail begern haben der merer tail Rat zu recht gesprochen Mog Peter Marschalh mit seinem ayd zu got und den heiligen sweren das sein vordern dy Stumpffperg Innen gehabt und auch er solhen gesuch der Schaffrey nach laut der vorgesprochen urteil und als er sich Im rechten vor erboten hat gehabt und auf den Grunten der Guter Im rechten begriffen herbracht haben und zwen gelennt unversporchen man dy weder gemain noch tail darinn haben und dy Im nit zugehoren verpunten noch versprochen sein nach Im sweren Daz sein ayd Rain und nit mayn sey so beschech was recht sey Tat er aber des nit so beschech aber was recht sey Und solhs sull beschehen in drein vierczehen tagen und drein tagen so In meins herrn gnad des ungeverlich tag fur sein hofgericht oder wem sein gnad das bevilht beschaidet Ob aber sein gnad in der zeit der muss nit gehaben mochte sol es darnach beschehen wann sein genad der muess gehaben mag ungeverlich
Die ausgewählte Urkunde von 1449 Juni 29 wurde in Zusammenarbeit mit Monasterium.Net als Teil der Urkundenbestände des Universitätsarchivs München digitalisiert. Alle Urkunden des Archivs der LMU werden derzeit inhaltlich und formal erschlossen, um in absehbarer Zeit der interessierten Öffentlichkeit online verfügbar gemacht zu werden.
Literaturauswahl zu den Streitparteien:
Zu Pfarrer Gabriel Glesein:
- Siegfried Hofmann, Geschichte der Stadt Ingolstadt, Von den Anfängen bis 1505, Ingolstadt 2000, S. 351–357, 365–442.
- Suzanne Bäumler, Das Ingolstädter Münster Zur Schönen Unserer Lieben Frau, Berlin und München 2009, S. 48 f.
Zu Peter Marschall von Stunzberg:
- Gerd Bangert, Stunzberg, Schloss und Hofmark, Eine Chronik von 1280 bis 1661, Stunzberg 1999. (Für den Hinweis auf dieses in sehr geringer Stückzahl publizierte Werk bedankt sich das Universitätsarchiv München herzlich beim Kreisheimatpfleger von Aichach-Friedberg, Herrn Dr. Hubert Raab.)
- Karl Heinrich Ritter von Lang, Geschichte des bayerischen Herzogs Ludwig des Bärtigen zu Ingolstadt, Nürnberg 1821, S. 223.