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Februar 2014

Johann Kaspar Lavater und die Universität Ingolstadt, 1788/1793
(Universitätsarchiv München, Y-VII-1)

Der Zürcher reformierte Pfarrer, Philosoph und Schriftsteller Johann Kaspar Lavater (1741–1801) wurde durch seine „Physiognomischen Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe“ (4 Bände, 1775–1778) bekannt, in denen er Anleitung gab, verschiedene Charaktere anhand der Gesichtszüge und Körperformen zu erkennen. Mit dieser Theorie der Physiognomik trug er wesentlich zur Popularität des Schattenrisses in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Deutschland bei. Lavaters Theorie der Physiognomik wurde in der damaligen Zeit lebhaft diskutiert, etwa von Lichtenberg, Goethe und Humboldt.

Johann Kaspar Lavater

1778 besuchte Lavater die bayerische Landesuniversität Ingolstadt. Er traf dort beispielsweise den Kanonisten Adam Weishaupt, Gründer des radikal-aufklärerischen Geheimbundes der Illuminaten, dann den Historiker Johann Nepomuk Mederer, Verfasser einer vierbändigen Ingolstädter Universitätsgeschichte, schließlich den Mediziner Heinrich Palmatius Leveling, der ihm zu Ehren ein Frühstück gab. Lavater ergötzte sich am bayerischen Musensitz an den ihm vorgeführten physikalischen Experimenten und an einem Konzert, zu dem man ihn eingeladen hatte.

Während dieses Aufenthaltes besichtigte Lavater unter professoraler Anleitung die Sehenswürdigkeiten vor Ort, insbesondere den Orban’schen Saal, also jene von dem Jesuiten Ferdinand Orban (1655–1732) eingerichtete Kunst- und Wunderkammer, die einem Vergleich mit dem Museum Kircherianum im Collegio Romano der Ewigen Stadt durchaus standhalten konnte. Mit der Aufhebung des Jesuitenordens war die Sammlung Orban 1773 an die Universität Ingolstadt gefallen. Für Mederer war Lavater „ein ganz besonderer Mann, der auf seiner ganzen Reise, wie mir sein Reisegefärt sagte, nur Menschen und Bilder der Menschen oder Gemälde betrachtet“ (Mederer an Lippert, 20.6.1778). Im Orban’schen Saal fiel Lavater besonders ein Gemälde auf, „Der ungläubige Thomas“ (Inv.-Nr. LMU 0007), bei dem es sich nach heutigem Wissensstand um eine Kopie des von Simone Cantarini (1612–1648) geschaffenen Originals in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen handelt. Nach zeitgenössischer, in solchen Fragen recht großzügiger Einschätzung stammte das Bild von Francesco Solimena (1657–1747) oder gar von Nicolas Poussin (1593–1665) selbst. Einzelne Stimmen gingen aber auch damals schon dahin, dass es nicht um ein eigenhändiges Werk handelte.

Der ungläubige Thomas

Johann Kaspar Lavater war von dem Gemälde regelrecht enthusiasmiert und erbat sich deshalb 1788, also viele Jahre später, eine Kopie: „Allein H. Lavater verlangt es auch nicht als ein Meisterstück der Kunst, sondern der Physiognomie wegen; weil er behauptet, die Gesichtszüge des Heilands auf diesem Gemälde wären gerade diejenigen, welche der Erlöser, als er unter uns wandelte, müsse gehabt haben, wenigstens nach H. Lavaters Einbildung.“ (Heinrich an Lippert, 23.2.1793) Die Geheime Universitätskuratel entsprach Lavaters Bitte am 16. Oktober 1788: Den ungläubigen Thomas sollte die Universität Lavater unentgeltlich zur Verfügung stellen zwecks Herstellung einer Kopie auf dessen Kosten. „Als hat die Universität solches Bild, so wie selbes auf der Blindram ist, mithin mit Zurücklassung der Ram in einen Verschlag einmachen, und auf Kosten des Lavater anhero [München] an den tit. Curator von Vacchierij verstandenen Endeswillen zu schicken, ehevor aber, damit aller wiewohl vorhin schon nicht zu vermuthenden Austauschungsgefahr vorgebogen werde, das akademische Signet ruckseits des Gemälds, doch sehr kalt, damit das Gemäld nicht Schaden leide, aufdrucken zu lassen.“ Eine erste, zu diesem Zweck in München angefertigte Kopie scheint ihren Bestimmungsort nie erreicht zu haben.

Vorgang

Bis zu einem zweiten Anlauf sollten wiederum einige Jahre vergehen, bis 1793. Lavater wandte sich diesbezüglich nun an seinen Freund Johann Michael Sailer. Sailer gab diese Bitte an seinen Freund Johann Kaspar Lippert weiter. Lippert ließ das Bild in München zum Preis von 30 Gulden kopieren und das Produkt durch P. Placidus Heinrich an Lavater schicken. Am 24. April 1793 bedankte sich Lavater voller Überschwang bei Lippert für diese Gefälligkeit: „Die Kopie besonders der Hauptfigur scheint mir vortrefflich. Die Korrektionen und Verlängerung des Tableaus sind wohlthätig und man kann dem Kopisten mit Recht alles Lob ertheilen. Nur jammerschade, daß der Kopf des Thomas ohne Zweifel in dem Original eben so roh im Charakter als flüchtig und gemein im Styl ist. Auch ist’s sonderbar, daß – ich setze dieß ebenfalls auf Rechnung des Originals – die Wunden der Hände – ein schlechterdings unerläßlicher Zug in dieser Geschichte der Erbarmung ihres gleichen – nicht bemerkt sind, und nicht weniger sonderbar, daß die geheimnisvolle Seitenwunde auf der rechten Seite angebracht ist.“

CS

Literatur

Reinhard Markner u. a. (Hg.), Die Korrespondenz des Illuminatenordens. Bd. I: 1776–1781, Tübingen 2005

Richard Messerer (Bearb.), Briefe an den Geh. Rat Joh. Caspar v. Lippert in den Jahren 1758–1800. Ein Beitrag zur Geistes- und Kulturgeschichte Bayerns in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts (Oberbayerisches Archiv 96), München 1972

Michael Permaneder, Annales almae literarum universitatis Ingolstadii, München 1859

Markus Sattler, Podcast zur Orban’schen Sammlung

Hubert Schiel, Sailer und Lavater. Mit einer Auswahl aus ihrem Briefwechsel, Köln 1928


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