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Mai 2018

Handzeichnung nach Peter Paul Rubens: Zwei nackte Gefangene mit Kriegstrophäen

(Graphiksammlung des Herzoglichen Georgianums, D 3.6, f. 455, n. 877)

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Das aktuelle Stück des Monats lehrt, dass bei der Arbeit mit graphischen Blättern nicht nur die Schauseiten genau zu betrachten sind, sondern auch und insbesondere die Rückseiten: So kann eine beziehungsreiche Handzeichnung aus der Zeit um 1700 als Träger dienen für einen weit verbreiteten Nachstich nach Michelangelos verlorenem Fresko der Schlacht bei Cascina. Die Ursprungslinien für dieses Blatt, das heute in der Graphiksammlung des Herzoglichen Georgianums verwahrt wird, verweisen auf das Rom des 16. Jahrhunderts. 1560 wurde Francesco Salviati (1510–1563) mit der Freskierung der „Sala dei Fasti Farnesiani“ im Palazzo Farnese beauftragt. Dieser Palazzo beherbergt heute die französische Botschaft, und bei näherem Hinsehen erkennen Sie links über dem Schreibtisch des Botschafters die beiden nackten Gefangenen vom Blatt des Georgianums wieder.

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In Zusammenhang mit diesem Auftrag hat Salviati, wie das nicht anders zu erwarten ist, vorbereitende Skizzen angelegt. Der Entwurf für die nackten Gefangenen gelangte in die Hände von Peter Paul Rubens (1577–1640), der seit 1600 für Studienzwecke in Italien weilte. Rubens scheint das Salviati-Blatt nicht nur an den Rändern ergänzt, sondern auch gründlich überarbeitet zu haben. Diese Gemeinschaftsleistung befindet sich heute im Museum von Angers.

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Die Werke von Rubens besaßen bekanntermaßen Referenzcharakter bereits zu seinen Lebzeiten und noch weit über seinen Tod hinaus. So erklärt es sich, dass die Zeichnung von Angers mehrfach kopiert wurde. Eine solche anonyme Kopie wird beispielsweise in der Wiener Albertina verwahrt. Sie stammt aus der Sammlung des Herzogs Albert von Sachsen-Teschen (1738–1822), geht also auf den Gründungsbestand der Albertina zurück.

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Das ebenfalls anonyme Blatt des Herzoglichen Georgianums hat einzigartigen Charakter, ist aber am Endpunkt einer Vorlagenreihe zu sehen, die von prominenten Künstlern geschaffen wurde. Nähere Angaben, wie der Philosoph und Ästhetiker Martin Deutinger (1815–1864), der Schöpfer der Graphiksammlung des Georgianums, an dieses Blatt gekommen ist, liegen nicht vor. Fest steht aber, dass Deutinger, vor die Entscheidung gestellt, das Blatt unter Michelangelo oder unter Rubens einzureihen, ersterem den Vorzug gab. Martin Deutinger bevorzugte zweifellos die Kunst des Mittelalters und insbesondere der Renaissance. In dieser Perspektive stellten für ihn die folgenden Jahrhunderte, beginnend mit dem Barockstil, einen kontinuierlichen Abstieg dar. So sahen das im Übrigen auch viele Zeitgenossen. Von der erneuten Wertschätzung, die beispielsweise Jacob Burckhardt (1818–1897) dem Niederländer entgegenbrachte (vgl. seine am Lebensende geschriebenen „Erinnerungen aus Rubens“), wurde Deutinger nicht mehr erfasst, wie auch seinen durchaus kritischen aphoristischen Notizen vor Rubens-Gemälden zu entnehmen ist, die handschriftlich ebenfalls in der Graphiksammlung verwahrt werden. Zumindest eine signifikante Gemeinsamkeit hatten die beiden Zeitgenossen Burckhardt und Deutinger aber: Sie unterhielten umfangreiche Bildersammlungen als materielle Grundlage für ihre kunsthistorisch-ästhetischen Studien. Die Geschichte dieser Wissensspeicher wäre noch zu erforschen.

 

CS

 

Literatur zum Salviati-Rubens-Blatt

  • Dominique Brême – Ariane James-Sarazin – Christine Besson (Hg.), De Rubens à Delacroix. 100 dessins du musée des Beaux-Arts d’Angers, Gent 2014, Katalognummer 83
  • Jochen Sander – Stefan Weppelmann – Gerlinde Gruber (Hg.): Rubens. Kraft der Verwandlung, München 2018, S. 129, 156

Literatur zur Graphiksammlung Deutinger

  • Claudius Stein, Die Wittelsbacher-Stiftung Georgianum in München. Bildungs- und wissenschaftsgeschichtliche Entwicklungslinien im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Alois Schmid – Hermann Rumschöttel (Hg.), Wittelsbacher-Studien. Festgabe für Herzog Franz von Bayern zum 80. Geburtstag (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 166), München 2013, S. 731–763

 

Dank:

Bei der Identifizierung des Blattes aus dem Georgianum haben Frau PD Dr. Ute Engel und Frau Dr. Angelika Dreyer, Corpus der barocken Deckenmalerei am Institut für Kunstgeschichte der LMU, wertvolle Hilfe geleistet. Dafür sei ihnen herzlich gedankt!


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