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September 2018

„Unseren im Weltkrieg Gefallenen“ – Sonderdruck zur Gedächtnisfeier der LMU am 18. Januar 1922

(UAM, D-X-43)

Der Erste Weltkrieg, jenes ungeheure Schlachten, welches annähernd 17 Millionen Soldaten und Zivilisten in den Tod riss und dessen Ende im kommenden November 100 Jahre zurückliegen wird, wirkte in alle gesellschaftlichen Bereiche des Deutschen Reiches hinein. Auch die Universitäten, dort vor allem die Studierenden, blieben davon nicht verschont. Im Sommersemester 1918 beispielsweise waren an der Ludwig-Maximilians-Universität München insgesamt 8236 Studierende immatrikuliert, davon 7107 männliche. Von diesen wiederum standen 5435 „im Heere“, weitere 114 im Sanitätsdienst bzw. „vaterländischen Hilfsdienst“. 78 Prozent der LMU-Studenten waren somit im genannten Semester unmittelbar vom Krieg betroffen. Mit ihrem Leben bezahlten den bewaffneten Konflikt laut universitären Aufzeichnungen insgesamt 1268 Studenten, 15 Beamte und mindestens drei Dozenten.

Eine Ehrung wurde den genannten Opfern u. a. am 18. Januar 1922 zuteil, dokumentiert in einem anonym verfassten Sonderdruck. Die an jenem Tag abgehaltene Gedenkzeremonie fand im Rahmen der universitären Reichsgründungsfeier, also in Erinnerung an den 18. Januar 1871, statt.

Auf dem Absatz der Treppe, die zur Ludwigstraße hinausführt, wurde für diesen Tag ein schwarz umhüllter Katafalk errichtet, vor dem Offiziere Wache hielten, zu beiden Seiten platzierte man Feuerbecken. Der Lichthof selbst, mit schwarzen Behängen und Kränzen versehen, war bestuhlt worden. Vertreter studentischer Verbindungen, des AStA, der Professoren- und Beamtenschaft, aus Politik, Kirche und Militär, Mitglieder des Königshauses sowie nicht zuletzt zahlreiche Angehörige von gefallenen Studenten waren anwesend. Von Musik begleitet hielten die Ehrengäste unter Führung des Rektors Erich von Drygalski und der Pedelle mit den Universitätsszeptern Einzug. Es folgte eine Ansprache des Rektors, in welcher er – im Stil der Zeit – das Heldentum der Gefallenen rühmte sowie eine Mitschuld des Deutschen Reiches am Ausbruch des Weltkrieges zurückwies.

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Feierlichkeiten im Lichthof der LMU, in der Treppen-Mitte stehend Rektor Erich von Drygalski.

(zum Vergrößern bitte anklicken)

Anschließend ergriff der AStA-Vorsitzende Edmund Stoeckle das Wort, wobei er mit unverhohlenem Pathos und Patriotismus die Einheit der Deutschen zu Kriegsbeginn beschwor, ferner den Taten sowie dem vergossenen Blut der Toten eine einende Wirkung zuschrieb. Es folgten zum Abschluss Kranzniederlegungen zunächst durch die Ehrengäste und Universitätsangehörigen, danach auch durch die Familien der Kriegsopfer in der sogenannten „Ehrenhalle“, einem Bereich östlich des Lichthofs im 1. Stock. An den seitlichen Wänden waren dort Steintafeln mit den Namen der – zum damaligen Zeitpunkt bekannten – Gefallenen angebracht worden. In der Mitte stand die Statue des sogenannten Speerträgers, der passend zu den Auflistungen der toten, heroisierten Soldaten, als Symbol für kühne Wehr- und Mannhaftigkeit sowie als idealtypische Schönheit wahrgenommen werden sollte. Der „Doryphoros“ ist heute noch am selben Ort zu sehen, allerdings ohne Speer.

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Die „Ehrenhalle“: Namenstafeln mit Kränzen und dem Speerträger.

Der Leser unserer Tage kann sich auch ein eigenes Bild der damaligen Erinnerungskultur machen, denn der Sonderdruck zur Gedächtnisfeier findet sich online als Volldigitalisat unter den gesammelten Rektorats- und Universitätsreden der Ludovico-Maximilianea.

Doch wie war das Befinden der unmittelbar Betroffenen? Lassen wir exemplarisch einen Einzelnen durch wenige Auszüge aus Feldpostbriefen selbst zu Wort kommen. Es handelt sich um den Soldaten Otto Helmuth Michels, geboren am 9. August 1892 in Odenkirchen, Student der Germanistik und Geschichte an der LMU.

Flandern, Januar 1915.
Eins sage ich Euch immer wieder: Ihr in der Heimat vergeßt nie, wie gräßlich der Krieg ist. Betet ohne Unterlaß. Macht Ernst. Laßt alles Oberflächliche. Haut sie hinaus aus Theater und Konzert, die lachen und witzeln, indes ihre Kämpfer und Schützer leiden und bluten und sterben. Wieder war ich drei Tage (1. bis 4. Januar) in der schrecklichsten Blutschlacht der Weltgeschichte, zweihundert Meter vor dem Feind, im hastig und notdürftig aufgeworfenen Graben. Drei Tage und drei Nächte lang Granate über Granate – ein Krachen, Pfeifen, Gurgeln, Schreien, Stöhnen. Fluch denen, die den Krieg heraufbeschworen!
„Haltet aus – haltet aus!“ Stunde um Stunde abwechselnd Deckung und Beobachten. Die Nerven laufen wie Feuerfäden durch den Körper. „Jetzt ist es zu Ende“ – stumpfe Hingabe. „Nein, leben will ich, leben, leben!“ – und man kämpft um sein Leben tagelang. Vier Kameraden wurden zu Tode getroffen (meist wird der Kopf weggerissen), und dann Schwerverwundete. Ein kleiner Granatsplitter traf mich am Oberarm; nun habe ich schon fünf Wunden am Körper – ich bin unendlich müde.

Oudenburg, 26. Oktober 1917.
Ich habe viel Leid erfahren. Mein bester Kamerad, mein einziger Freund in der Kompagnie ist gefallen. Hermann Bartel war einer der edelsten Menschen, die ich gekannt habe. Er hatte nicht viel Schulbildung, aber einen natürlichen Anstand, eine seelische Anmut, die ihm jedes gute Herz gewann. Frei und stark und mutig, immer fröhlich und gefällig; wenn er mich sah, lachten ihm Güte und Treue und Lebenslust aus den Augen. Ich hab‘ geweint vor den andern, als ich die Nachricht empfing.

1. Mai 1918.
Das Auge sieht nichts auf tagelangen Märschen, nichts als Greuel der Verwüstung. Ein Brett an einem Baumstumpf genagelt, darauf ein Name: ein vernichtetes Dorf. Kein Stein, kein Strauch, kein Baum, nichts gibt Kunde vom einstigen Glück und Wohlstand – der Name blieb.
Das Mittelalter gab dem Teufel eine furchtbare Fratze. Wer kann den Teufel malen? Diese zerwühlte, zerrüttete Landschaft, die toten Wälder, Kreuz um Kreuz – das alles ist ein Zug in der Fratze des Teufels.

(Letzter Brief.) 19. Juni 1918.
Seit ein paar Tagen bin ich wieder an der Front, und heute abend versinke ich für unabsehbare Zeit in dem Irrsinn des Schützengrabens. Das Leben draußen, mit dem meine Seele während der Ruhezeit wieder leise Fühlung gesucht hatte, liegt nun fern – Ihr Menschen da, mit euren Mühen und Freuden, eurem Tun und Denken seid so seltsam schemenhaft. Sah so Christus die Welt, als er zum Himmel fuhr?
Auf und ab fluten die Wellen im Meer. Auf und ab flutet das Blut in meinem Herzen. Die Blume verblüht. Aber das Bild auch des törichtsten Blümchens blüht und wandelt in Ewigkeit mit den Sternen. Alles, was in heißer Luft geblüht, das blüht weiter im Himmel durch alle Ewigkeit. Darum ist es auch dort so schön.
Oh, wenn doch endlich alles Häßliche, Niedrige, Klanglose von mir abfiele. Stille Seligkeit! O du mein Kleid, mein Lied, meine Musik, mein verklärter Körper – o meine Liebe – und du, mein gefestigtes Herz – mein Gott.
Und nun gehe ich –

Otto Helmuth Michels fiel 25-jährig am 2. Juli 1918 im französischen Aveluy.

 

DS

 

Quellen

  • UAM, D-X-43 (Krieg 1914-1918: Verschiedenes, Gedächtnisfeier 1922)
  • UAM, D-XVII-43 (Zusammenstellung der im Krieg 1914-1918 gefallenen Dozenten, Beamten und Studierenden der Ludwig-Maximilians-Universität)
  • UAM, E-XII-32 (Personalverzeichnis der Ludwig-Maximilians-Universität, WS 1916/17 bis SS 1919)

Literatur

  • Margit Szöllösi-Janze: Der Lichthof. Über die Aneignung eines universitären Raumes in Weimarer Republik und Nationalsozialismus; in: Claudius Stein (Hrsg.): Domus Universitatis. Das Hauptgebäude der Ludwig-Maximilians-Universität München 1835 – 1911 – 2011; München 2015, S. 123-142.
  • Philipp Witkop (Hrsg.): Kriegsbriefe gefallener Studenten; München 1928.

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