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April 2015

Zwei Briefe von Theodor Mollison, LMU, und Franz Boas, Columbia University, aus dem Jahre 1938.

1938 verschickte Franz Termer, Direktor des Hamburger Museums für Völkerkunde, einen Rundbrief an die Mitglieder der Gesellschaft für Völkerkunde, betreffend eine Neuorganisation eben dieser wissenschaftlichen Gesellschaft. Dieser Rundbrief erreichte auch den deutschstämmigen, seit langem an der Columbia University lehrenden Kulturanthropologen Franz Boas. Was diesen wiederum zu einem geharnischten offenen Brief an Franz Termer veranlaßte. In diesem verwahrte er sich gegen Briefe, die mit Heil Hitler unterzeichnet seien, vor allem dann, wenn es um wissenschaftliche Inhalte ginge. Hitler sei alles andere als heilvoll. Aber es ginge ihm hier gar nicht um politische oder gesellschaftliche Sichtweisen: Vielmehr sei es ihm unverständlich, wie jemand wie Termer, der der Wissenschaft verpflichtet sei, in ein „Heil Hitler“ einstimmen könne, wo dieser doch gerade der Wissenschaft das freie Denken verbiete und dieser nicht erlaube, der Wahrheit verbunden zu bleiben!

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Franz Boas war zu diesem Zeitpunkt bereits 80 Jahre alt. Er entstammte einer traditionellen jüdischen Familie aus Westfalen und war schon 1886 nach Amerika emigriert, um dort seine neuen kulturanthropologischen Ansätze verfolgen zu können. Damit galt Boas, wenn selbst auch zunächst physische Anthropologie lehrend, später als Nestor einer neuen wissenschaftlichen, komplexen Sichtweise auf die Kultur des Menschen. Zu seinen Hauptthesen gehörte auch die Feststellung, daß es auf unserem Planeten zwar die unterschiedlichsten Ausformungen der menschlichen Spezies und deren Gesellungen geben möge, jedoch keine mindere oder bessere „Rasse“ (Kulturrelativismus), womit er vielen schon weit vor dem Nationalsozialismus in der Wissenschaft vertretenen Rassentheorien widersprach.

Vor diesem Hintergrund muß auch das Schreiben von Theodor Mollison gesehen werden, mit dem dieser ebenso energisch Boas konterte: Auf die Beleidigung des Führers durch Boas wolle er erst gar nicht eingehen, aber die Behauptung, Deutschland sei nicht frei im wissenschaftlichen Denken, sei eine „alberne Unwahrheit“. Und vor allem „versichere ich Ihnen, daß wir deutschen Wissenschaftler genau wissen, was wir Adolf Hitler verdanken, nicht zuletzt auch die Reinigung des Volkes von fremdrassigen Elementen, deren Denkweise nicht die unsrige ist.“

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Es ist müßig zu erwähnen, daß Theodor Mollison, physischer Anthropologe, seit 1926 Direktor des Anthropologischen Instituts der LMU, seit 1933 Mitherausgeber des „Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie“, heute noch bekannt ist als einer derjenigen Wissenschaftler, welche die NS-Ideologie kräftig mit ihren wissenschaftlichen Befunden gestützt haben.

Beide Schreiben finden sich im Dozentenakt Theodor Mollison der Naturwissenschaftlichen Fakultät der LMU, zwischen vielen eher unaufregenden Dokumenten versteckt. Erwähnenswert ist vielleicht auch, daß Mollison zunächst den Brief als Entwurf an das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung schickte, um dessen Einverständnis einzuholen – oder auch nur, um einfach „hier“ zu rufen…

Selbstverständlich sind dies zunächst einmal die Äußerungen zweier einzelner Individuen, und selbstverständlich sind beide Briefe nur zwei von unendlichen vielen Dokumenten aus jener Zeit, welche die ungenierte Vermengung der wissenschaftlichen mit der politisch-ideologischen Ebene belegen. Dieser Briefwechsel könnte uns aber auch zu der sehr grundsätzlichen Frage animieren, inwieweit es „voraussetzungslose Wissenschaft“ überhaupt geben kann – auch heute…

WS

Briefe aus:
UAM, OC-IX-165, Theodor Mollison, Personalakt der Naturwissenschaftlichen Fakultät der LMU.

 


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